Heute geht es um das unerfreuliche, aber wichtige Thema Unfall mit dem Trike. Ich erzähle vom Unfall meiner Mutter, bei dem sich der Autofahrer einfach aus dem Staub macht und auch Norbert berichtet, wieviel Hilfe ihm zukommt als eine Autofahrerin ihn auf der Straße liegen sieht, nämlich Null-Komma-Null.
Über Schleichwege
Einer meiner Heimwege führt über eine schmale asphaltierte Straße, die nur für den motorisierten land- oder forstwirtschaftlichen Verkehr freigegeben ist und in diesem Falle noch für die Anwohner. Schleichwege nannten wir das immer.
Wobei die Anwohner genau in einem Haus wohnen und eben jenen landwirtschaftlichen Betrieb begründen.
Das sind rund eineinhalb Kilometer, die ich zwar steil bergauf strample, aber dafür kann ich ganz sorglos den Hund frei laufen lassen, weil uns sozusagen die Straße gehört. Also fast.
Denn natürlich lieben auch Autofahrer diese Wege, weil sie Abkürzungen anbieten, keine Ampel einen ausbremst und man so schön für sich ist.
Ich habe eigentlich immer Glück. Denn die Autofahrer, auf die ich treffe, sind wenige und sie sind sich ihres Unrechts stets bewusst. Sie tuckern mit großem Abstand im Schritttempo hinter mir her und grüßen überschwänglich, wenn ich in einer Bucht Platz für sie mache, damit sie uns überholen können. Derzeit schafft es Emilia mit viereinhalb Stundenkilometern bergauf - ich lasse sie dann in aller Seelenruhe neben mir her trippeln.

Typischer "Schleichweg"
Manche nennen diese Straßen auch Promillewege.
Nachts sind sie vor allem am Wochenende sehr beliebt, weil hier nicht kontrolliert wird.
Als ich noch keinen Autoführerschein hatte, war mein Motorroller die Tür zur Welt. Ich konnte weitere Strecken zurücklegen und es gab für meine - damals in meinen Auge strengen, heute weiß ich: besorgten - Eltern keinen Grund mehr, mich vor Einbruch der Dunkelheit im Haus zu wissen. Vor allem mein Vater lag mir in den Ohren, statt der Bundesstraße den Schleichweg zu nehmen, da ich dort sicherer sei. Der war übrigens für Mofas und Roller freigegeben.
Das Problem mit diesen Wegen ist aber, dass sie gerade bei Kreuzungen ziemlich gefährlich sein können, weil keiner mit dem anderen rechnet. Wer hält schon im Niemandsland an, um Rechts-vor-Links zu beachten? Zwanzig Mal ist niemand da und beim einundzwanzigsten Mal haben alle Schutzengel hektisch ihre Flügel im Spiel.
Auto prallt auf Trike
Bei meinem letzten Tagesausflug mit meiner Mutter zog ich sie ein bisschen damit auf, dass sie immer mit prallen Fahrradtaschen herumfährt. Bei dreißig Grad im Schatten und wolkenlosem Himmel war die Regenausrüstung und einiges andere mit von der Partie.

Paul macht das auch immer so. Da muss ich immer wieder Jacken und Westen herausziehen und waschen, weil die schon seit über drei Monaten zerknüllt und unbenutzt ganz unten in der Tasche herumdümpeln und keine Luft abbekommen. Ich wasche also saubere Kleidung. Und mit dem gleichen Spaß, der mir das bereitet, führe ich dann eine dieser Grundsatzdiskussionen, die so ein- oder zweimal im Jahr stattfindet und immer zu nichts führt. Da wir aber sonst keine Probleme haben, muss ich das einfach pflegen. Und bevor ich jetzt ganz viele Kommentare bekomme, in denen drinsteht, dass mein Gatte sich doch selbst um seine Wäsche kümmern kann und ich ihm seine immer miefiger werdenden Jacken und Westen ganz einfach lassen könnte: Jaja, das weiß ich alles. Und auch wenn ich es nicht glauben kann, dass ich das jetzt öffentlich schreibe und ich hoffe, dass es niemand aus der Familie liest: Ich mache gerne Wäsche und habe es deswegen zu meinem Aufgabengebiet in der Beziehung gemacht.
Neulich fuhr meine Mutter an einem Wochenende abends auf einem Schleichweg. An einer Kreuzung traf sie dann auf einen jungen Autofahrer, der ihn vielleicht schon mal für später in der Nacht als Promilleweg austesten wollte. Meine Mutter riss den Lenker herum, weil sie merkte, dass das Auto zu spät stoppen würde. Sie stürzte mit dem Trike und wurde dadurch glücklicherweise nur noch vom Auto gestreift.
Diesen Umstand nutzte der Autofahrer wiederum, um meiner Mutter einen rasanten Fahrstil zu attestieren. Er guckte etwas verdutzt, als sie meinte, dass sie sich so in die Kurve gelegt hätte, weil er ungebremst in die Kreuzung gefahren war.
"Sind Sie verletzt?"
Kopfschütteln.
"Ist alles ok?"
Kopfnicken.
Erleichert hilft ihr der Typ auf und - fährt davon.
Persönlicher Brief
Lieber Autofahrer,
deine Fahrstunden sind noch nicht allzu lange her, da müsstest du dich eigentlich noch erinnern, dass man sich nicht allzu schnell bei einem Unfall aus dem Staub macht. Sogar wenn keine Personen auf der Fahrbahn liegen, darf man nicht begehen, was als "Fahrerflucht" bezeichnet wird.
Ich unterdrücke jetzt mal all meine unreflektierten Instinkte, denn du kannst ja nicht wissen, dass ich erst kürzlich meinen Vater auf tragische Weise verlor und sich bei dieser Geschichte meiner Natur eigentlich nicht entsprechenden Fantasien in meinen Kopf geschlichen haben. Das hat natürlich in erster Linie damit zu tun, dass ich den Elternteil, der mir noch geblieben ist, verbissen schützen möchte und mit dem Umstand, dass der Verlust des verlorenen Elternteils noch so eindrücklich nachwirkt.
Vielleicht hatte dein Fahrlehrer dir nicht erzählt, dass verletzte Menschen unter Schock nicht zurechnungsfähig reagieren. Und auch nicht, dass sie ihre Verletzungen nicht gleich spüren, der Schmerz stellt sich oft erst später ein.
Wenn du nämlich vor lauter schlechtem Gewissen nicht gleich weggefahren wärest, hättest du gesehen, wie die Frau, die du gerade von der Straße aufgehoben hast, noch ziemlich lange zittrig am Wegesrand saß und sich nicht bewegte. Sie hat einfach vor sich hin gestarrt. Dabei hat sie sich gefragt, wie sie eigentlich noch die sechs Kilometer nach hause radeln soll mit den Prellungen an den Beinen und in der Kniekehle, wo ihr das schwere Trike mit voller Wucht hineingerammt war. Und selbst wenn ihre Beine mitspielen, kann sie gerade nicht wissen, ob das Trike nicht so beschädigt ist, dass es nicht fahrbar ist.
Denn in deiner Eile abzuhauen hast du nicht einmal deinen Namen und andere Kontaktdaten dagelassen, um vielleicht die Schäden am Fahrrad wenigstens anteilig zu übernehmen, falls sich herausgestellt hätte, dass du nur eine Teilschuld am Unfall hast. Aber da hätte man ja womöglich die Polizei einschalten müssen und das geht nun wirklich nicht, wenn man mit hoher Geschwindigkeit und in Partylaune einen für den nicht öffentlichen Verkehr freigegeben Weg befahren hat.
Außerdem hätte dich das auch unnötig viel Zeit gekostet, wo doch die Veranstaltung gleich losgeht und deine Kumpels im Auto warten. Vielleicht warst du ja sogar noch in der Probezeit, da ist es natürlich total scheiße, wenn so etwas passiert. Da ich zur Generation gehöre, in der gerade begann, was deine heutzutage gerne macht, hätte ich auf jeden Fall darauf bestanden, dass die Polizei überprüft, ob du dich schon vor der Party ein bisschen in Stimmung gebracht hattest und deswegen diesen Weg fährst. Leider war ich nicht dabei, sonst hätte ich nämlich mindestens deine Kontaktdaten abgefragt und das Autokennzeichen notiert.
Ich hoffe sehr, dass du aus diesem Unfall nicht daraus schließt, dass sich Fahrerflucht lohnt, sondern von nun an mehr Verantwortung lebst.
Ich bin jedenfalls wahnsinnig froh und erleichtert, dass meiner Mutter nichts Schlimmeres passiert ist.
Volle Taschen - weicher Überschlag
Über zwei Aspekte denke ich seither nach.
Erstens müssen wir Radfahrer auch auf solch ruhigen Nebenstrecken immer aufmerksam sein. Und zweitens hat meine Mutter bestätigt, was ich immer über Unfallstatitiken mit dem Trike lese: Der Sturz auf drei Rädern geht oft glimplicher aus als auf dem aufrechten Fahrrad, da haben wir einen Vorteil.
Ich schreibe heute über dieses Thema nicht, um Empörung gegen Autofahrer zu schüren oder weil ich euch emotional aufwühlen möchte. Das Thema Sicherheit auf dem Fahrrad im Straßenverkehr betrifft uns alle gleichermaßen, ob drei Räder oder zwei. Aber vielleicht hilft uns das Darübernachdenken und Diskutieren für die Zukunft, in einer Schocksituation doch noch daran zu denken, die Kontaktdaten des anderen Unfallbeteiligten zu erfragen oder auf andere Details zu achten, wie dem Kennzeichen. Auch wenn ich inständig hoffe, dass nie jemand von euch so etwas erleben muss.
Auch Norbert musste die Erfahrung machen wie wenig es andere VerkehrteilnehmerInnen zu berühren scheint, wenn ein Radfahrer auf der Straße liegt. Ich glaube wir alle gehen davon aus, dass man schon aus einer natürlichen Reaktion der Empathie jemandem zu Hilfe eilt. Aber auch er erlebte, dass Menschen anscheinend zu "schnell weg hier" neigen.
Norbert Johann schreibt:
"Vor zwei Wochen war ich auf dem Weg vom Büro nach Hause. Dazu nutze ich normalerweise eine Fahrstrecke, die fast ausschließlich, einen Radweg auf einer Nebenfahrbahn anbietet. An diesem Tag wollte sich meine Frau aber gerne mit mir am Rheinufer treffen und deshalb habe ich einen Weg gewählt, der mit sehr vielen Grundstücksausfahrten versehen ist, aber, wegen geringerer Steigungen, schneller zum Ziel führt.
An einer Stelle wollte eine junge Frau mit ihrem PKW auf die Straße ausfahren und hat dabei den Radweg so zugestellt, dass ein Vorbeikommen ohne die Benutzung der Straße nicht möglich war. Ein Stück zurück zu fahren um mich vorbei zu lassen wäre auch ohne Probleme möglich gewesen, da sie alleine in der Ausfahrt stand. In meiner Eile und natürlich wegen meiner, mittlerweile manchmal recht ausgeprägten, Alterssturheit wollte ich nicht warten, bis sie eine Möglichkeit hatte sich in den fließenden Verkehr einzuordnen. Deshalb bin ich mit dem linken Vorderrad auf die Fahrbahn gefahren. Dummerweise habe ich mich etwas verschätzt und bin auch noch mit dem Hinterrad auf die Fahrbahn gekommen. Nachdem ich an dem PKW vorbei war wollte ich wieder ganz auf den Radweg auffahren. Dabei habe ich wohl etwas zu stark eingelenkt und bin über das linke Vorderrad seitlich weggekippt. Bis dahin eine Situation, die passieren kann und für die ich mir mittlerweile auch einen großen Anteil Eigenverschulden gebe.
Passiert ist außer einer Abschürfung am Unterarm, diversen Kratzern am Rad, einer kaputten Jacke und einer Hose aus der das Kettenfett nicht ganz herausgewaschen werden konnte, nichts. Trotzdem habe ich da auf der Seite gelegen wie ein dicker Brummer und hatte so meine Schwierigkeiten wieder auf die Beine zu kommen.
Was mich wirklich schockiert hat ist die Tatsache, dass weder die PKW-Fahrerin noch ihre Beifahrerin oder andere Verkehrsteilnehmer in irgendeiner Form Hilfe angeboten haben. Keine Nachfrage, ob ich mich verletzt hätte oder ich Hilfe bräuchte. Gelesen habe ich schon viel über die fehlende Empathie im Straßenverkehr, aber das war das erste Mal, dass ich das am eigenen Leib erfahren musste.
Ich hoffe und wünsche mir, dass es bei uns wieder mehr Menschen gibt, die in solchen Situationen helfen und nicht wegsehen. Es kann doch nicht angehen, dass die Angst einen Fehler zugeben zu müssen dafür sorgt, dass Mitmenschen in Notsituationen allein gelassen werden. Ich habe in meiner Jugend gelernt, dass man Menschen nicht einfach auf der Straße liegen lässt, sondern sich kümmert und Hilfe anbietet. Besonders dann, wenn man selbst eventuell eine Teilschuld an dem Geschehen hat."
Mit solch beklemmenden Gefühlen möchte ich euch nach der heutigen Lektüre natürlich nicht sitzen lassen. Deswegen berichte ich euch zum Schluss noch eine weitere Erkenntnis, zu der ich gelangt bin.
Dank der mit Kleidung befüllten Radtaschen wurde die Wucht des Sturzes für meine Mutter weich abgefedert und so wurde sie nicht schwerer verletzt. Und auch wenn die körperliche Unversehrtheit immer am wichtigsten ist, haben die Taschen darüber hinaus noch das Trike vor größerem Schaden bewahrt. Für den Schaden der entstanden ist, muss meine Mutter natürlich ganz alleine aufkommen. Aber es sieht so aus als wären es Kleinigkeiten. Für mich jedenfalls steht fest: Von nun an wäscht sich an sich gewaschene Kleidung doch ganz anders!
