Gerold hat mir sehr engagiert über einen gewissen Zeitraum hinweg E-Mails geschrieben, um mir zu berichten wie er seine Testfahrten mit dem Kettwiesel Evo, das ich letztes Jahr testete, erlebt hat. Ich wollte euch das keinesfalls vorenthalten, eine weitere Perspektive dazu ist sicherlich sehr interessant. Er hat auch immer mal wieder direkt zwischen dem Scorpion und dem Kettwiesel verglichen. Das Trike ist faltbar und mit dem Shimano Steps Motor ausgestattet.
Bis vor kurzem Scorpion fs
Gastbeitrag von Gerold Heider
Mein gebrauchtes Scorpion fs 20, das ich auf Rohloff-Nabe umgerüstet hatte, dreht jetzt seine Runden am Steinhuder Meer. Grund meines Verkaufes war, dass ich eigentlich das Scorpion fs 26 haben wollte, es aber damals nur als e-Bike mit Kettenschaltung und Nabenmotor zu haben war. Eine Kettenschaltung wollte und möchte ich immer noch nicht.
Insgeheim hatte ich gehofft, dass HP Velotechnik das Scorpion mit Pinion-Getriebe anbietet, bis ich bei dir auf dem Blog gelesen habe, dass der Shimano Motor eingebaut wird. Wenn HP Velotechnik die Kombination Shimano Steps Motor mit Rohloff-Nabe anbietet, würde ich sagen “OK, das ist eine Überlegung wert” …
- Der Nachteil von Motoren wie Bosch, Yamaha, Shimano und Co. ist, dass es keinen hundertprozentigen Freilauf gibt.
- Bei mehr als 25km/h strampelt man die Motormechanik mit, was bis zu 10% deiner Leistung fordert.
- Ein weiterer Nachteil ist, dass diese Motoren bergab nicht als Generator ( Energierückgewinnung ) eingesetzt werden können, ganz anders als bei Neodrive oder GoSwiss Drive.
- Die Motoren machen Geräusche. Das ist nicht immer schön, gerade während der Fahrt durch die Natur.
Daher ist für mich die beste Kombination Pinion P1.18 mit Nabenmotor.
Diese Kombination wurde bis jetzt nur bei den Reiserädern angeboten von: Idworx = Pinion mit Neodrive, Velotraum = Pinion mit Neodrive und Tout Terrain = Pinion mit GoSwiss Drive
Testrad vom Fachhändler
Zum Testen fuhr ich nach Köln zu Stadtrad. Bisher kannte ich nur das ältere Kettwiesel-Modell von 2009, was ich mal auf Pinion P1.18 umgebaut hatte.
Von der Straße aus wirkt der Laden klein, aber der Raum geht in die Tiefe. Stadtrad ist einer der wenigen Läden, der keine Mountainbikes verkauft. Ganz hinten standen dann eine gute Auswahl an Hase Bikes.
Im Hase Katalog sieht das Kettwiesel so lang und breit aus, aber als ich dann im Laden vor dem Rad stand, wirkte es sehr kompakt, trotz des verlängerten Radstandes durch die gefederten Hinterradschwingen. Was die Verarbeitung angeht und dem Gedankengut, kann ich mich deinem Bericht voll und ganz anschließen. Das Team Hase Bikes hat einen super Job gemacht!
Und weil ich die Technik so liebe, musste ich noch von der Unterseite des Rades Bilder machen.
Einen Steinwurf vom Laden entfernt liegt ein schöner Park, wo ich die erste kleine Runde gedreht und das eine oder andere Bild vom Kettwiesel geknipst habe.
Mein erster Eindruck
Der Motor ist nicht leiser, aber auch nicht lauter als der von Bosch, Yamaha & Co. Nur der Brose-Motor ist leiser und soll einen hundertprozentigen Freilauf haben. Dafür verbraucht der Brose mehr Energie und wird schneller warm, was zur Folge hat, dass die Leistung zurückgeht.
Das Motorengeräusch habe ich in diesem kurzen Video festgehalten.
Scheinbar hat Shimano die Motoransteuerung ( Software ) überarbeitet. Da ich ja nur in der Ebene gefahren bin, lief der Motor schön gleichmäßig.
Der Sitz ist super und gefällt mir besser als der Ergo-Mesh Sitz von HP Velotechnik. Reinsetzen und wohlfühlen!
Durch die Vollfederung ist das Fahren sehr angenehm. Als ich über einen unebenen Abschnitt des Parkweges gefahren bin, schaukelte das Wiesel etwas als wäre man auf einem Schiff, was aber nicht unangenehm war, sondern von der Arbeitsweise der Luftfederung herrührt.
Die Wendigkeit ist einfach super. Aber bei Volleinschlag wollte der Lenker mit meinem Bein nicht harmonieren – das Pedalieren ist so nicht mehr möglich.
Die Parkbremse ist bei Hase Bikes besser gelöst wie bei HP Velotechnik, weil keine dritte Bremse (Felgenbremse) benötigt wird, was ja auch wieder etwas Gewicht und Wartung einspart.
Wie im Massage-Sessel
Der Park, wo ich zuerst fuhr, ist neben dem Rhein gelegen. Man muss nur eine Straße mit Schiene überqueren und schon ist man auf der anderen Seite. Hinter der Straße ist eine längere Zufahrt zur Rheinpromenade (Gustav-Heinemann-Ufer).
Die Zufahrt besteht aus Kopfsteinpflaster und das über ein längeres Stück, vielleicht ungefähr 50 Meter. Auf dem Kopfsteinpflaster gab es nichts zu Meckern; das Fahrwerk kompensiert vieles, so dass wenig Schwingungen übertragen werden.
Ich fühlte mich in dem Sitz, als säße ich in einem Massagesessel 🙂 . Aber irgendwas war leicht am Quietschen, so als würde Kunststoff aufeinander reiben. Ich habe aber nicht herausgefunden, was das war.
Auf der Promenade hatte ich die Wahl: links auf großen Betonplatten weiter fahren oder rechts auf der geteerten Straße, die am Rhein entlang führt.
Ich entschied mich zunächst für die geteerte Straße, wo ich das Kettwiesel mit und ohne Unterstützung gefahren bin. Wird die Unterstützung abgeschaltet, ist das Kettwiesel träger. Ich vermute, dass das durch die Mechanik vom Motor und den vielen Ketten verursacht wird, aber auch von dem hohen Gewicht des Rades.
Irgendwann wendete ich und radelte zurück. Am markanten Punkt von der geteerten Straße zu den großen Betonplatten, steht ein alter Dreißig-Tonnen-Kran. Links davon geht es auf das lange Stück Kopfsteinpflaster.
Fazit
Ich radelte dann noch ein Stück über die großen Betonplatten, Richtung Dom. Auf dem Weg dorthin passierte ich eine Aussichstplattform, deren Boden mit Gitterrosten ausgelegt ist. Dort fuhr ich mit dem Kettwiesel auch darüber und konnte sogar, ohne abzusteigen, wenden.
Nach Abschluss meiner ersten Probefahrt im Flachland kann ich folgendes Fazit ziehen:
+ für die Technische Umsetzung
+ für die Handhabung
+ für die Verarbeitung
+ für den Fahrkomfort
+ für den Fahrspaß
– für die einfache Lampe, die am Rad montiert ist bei einem Trike für 6.500-7.000€
– für die Sonderradtaschen, die ich bei Hase Bikes kaufen muss (habe da eine andere Idee)
Wenn du mich jetzt fragst, ob das Rad was für mich persönlich ist, muss ich antworten: Ich glaube nicht.
Wenn ich auf einem Tadpole sitze, fühle ich mich irgendwie wohler, geborgener oder besser integriert. Ich nehme an, dass das durch die beiden vorderen Räder kommt.
Als ich auf dem Kettwiesel saß, fehlte mir irgendwas vorne. Oder müsste ich, wie du, viel länger auf dem Trike fahren, weil ich durch meine beiden Scorpione zu sehr vom Tadpole geprägt bin ?
Ich glaube, auch die Umgebung und das Wetter haben einen Einfluss darauf, wie das Empfinden bei so einer Probefahrt ist. Der noch junge Verkäufer aus den Radladen erzählte mir genau das Gegenteil, ohne von meinem Empfinden zu wissen: Er fühlt sich beim Tadpole eingeengt durch die beiden Vorderräder.
Noch ein Gedanke zum Schluss
Azub hat ja jetzt ein Trike mit Pinion-Getriebe und BionX als Nabenmotor. Da könnte sich HP Velotechnik ruhig eine Scheibe abschneiden … Bis jetzt mussten Endkunden ihr Scorpion selbst auf Pinion umrüsten. Das geht z.B. über Velomo.
Vielleicht bekommst du mal die Gelegenheit, das Azub eBike mit Pinion zu testen. Aber auch Steintrike wäre interessant, weil diese Trikes ebenfalls voll gefedert sind.
Ein Fachhändler meinte mal am Telefon dazu, dass ein Kunde sein Wild One in Zahlung gegeben hätte, um ein Scorpion fs 26 dafür zu bestellt. Sein Scorpion fs 20 habe er übrigens behalten. Der Händler wäre sehr enttäuscht gewesen, denn gegenüber HP Velotechnik und ICE wäre da eine deutlich schlechtere Verarbeitungsqualität. Die Frontfederung funktionierte gut, aber der filigrane Hinterbau sei extrem instabil gewesen. Auch die Lenkung wäre bei weitem nicht so fein ansprechend wie die der Konkurrenz. Der Sitz flexte schon beim Geradeausfahren. Insgesamt sei das sehr ernüchternd, insbesondere wenn man die ausufernden Lobeshymnen im Internet lese.
Gruß aus Siegen,
Gerold