Ich hatte das Scorpion Plus mit dem ganz hohen Sitz zum Test hier, denn das Konzept fand ich faszinierend und eine gelungene Alternative zum sportlichen Scorpion, bei dem man nur wenige Zentimeter über der Straße liegt.
HP Velotechnik beschreibt das Liegedreirad Scorpion Plus als “Trike mit dem SUV-Gen”.
SUV ist die Abkürzung für “Sport Utiliy Vehicle”, übersetzt Sport- und Nutzfahrzeug und beschreibt eine Geländelimousine. Das Fahrzeug ist also geländetauglich robust, schnittig sportlich und dabei sehr luxuriös ausgestattet.
Lieb gewonnene und bewährte Eigenschaften bleiben bei dieser Version des Scorpion erhalten. Es ist voll gefedert, auf Kofferraumgröße faltbar und der Sitz wie bisher mit einfachen Handgriffen abnehmbar.
Mit dem ErgoMesh Sitz HS plus sitzt die Scorpion-Pilotin 57cm hoch. Das garantiert zum einen ein rückenschonendes Hinsitzen und Aufstehen und gleichzeitig einen guten Überblick im Straßenverkehr. Natürlich drängt sich die Frage auf, wie sich das Fahrverhalten bezüglich der Kippstabilität bei höherem Tempo und in Kurven gestaltet, dazu später mehr.
Das Scorpion Plus gibt es in drei verschiedenen Varianten: mit ganz hoher, mittlerer und niedriger Sitzhöhe – und das in jeweils zwei Modellen, so dass man in Wahrheit zwischen sechs Versionen wählen kann.
HP Velotechnik stellt auf seiner Website das Scorpion Plus in zwei unterschiedlichen Modellen vor. Das “Scorpion Plus 20” und das “Scorpion Plus 26”.
Scorpion Plus 20
Mit dem kleinen Hinterrad wirkt das Scorpion Plus je nach Sitzhöhe, wie ein Rollstuhl. Ich merkte das im Alltag daran, wie andere Verkehrsteilnehmer, auch Fußgänger auf mich mit diesem Trike reagierten. Begutachten die Leute sonst mit großem Interesse mein Liegedreirad (Scorpion fs 20), warfen sie auf dieses Gefährt scheue Blicke, um dann schnell verlegen wegzusehen, wenn sich unsere Blicke trafen. Eine Frau mit Behinderung anzustarren, gehört sich wohl nicht…
Autofahrer und Radlerinnen behandelten mich betont bevorzugt, verzichteten oft auf ihre Vorfahrt und ließen mir mit fürsorglichen Gesten den Vortritt. Viele nahmen an, ich wäre behindert.
Man kann den ErgoMesh Sitz in der Variante HS plus, wie hier und oben auf dem Foto dargestellt, bekommen und sitzt damit 11cm höher als mit dem herkömmlichen ErgoMash Sitz und sogar 14cm höher als mit dem BodyLink (Schalensitz).
Ich hatte zum Testen dieses Scorpion Plus 20 mit dem ErgoMash HS plus gewählt, um die Grenze einer solchen Sitzhöhe (57cm) ausreizen zu können. Es war auch mit dem GoSwiss Antrieb (25km/h Unterstützung) ausgestattet.
Scorpion Plus 26
Optisch erscheint das Scorpion Plus mit großem Hinterrad auf jeden Fall sportlicher. Die 26 Zoll helfen visuell, die Höhe des Scorpion Plus auszubalancieren, das Bild wird dadurch harmonischer.
In meinem zweiten Test zum Scorpion Plus, der mit dem nächsten Beitrag erscheinen wird, stelle ich dieses rote Scorpion Plus 26 auf dem Foto rechts mit einem gewöhnlichen ErgoMash Sitz vor, so dass ich auf mittlerer Höhe fahren kann.
Beim großen Hinterrad fällt der herkömmliche Gepäckträger weg, weil sonst der Lastenschwerpunkt zu hoch liegt und das Liegedreirad instabil werden lässt. Alternativ können mit den beiden Bügeln immer noch Taschen an das Trike gehängt werden.
Vielen gefällt das 26 Zoll Rad optisch besser als das kleine, allerdings sollte, wer motorisiert unterwegs ist, bedenken, dass das große Hinterrad Nachteile in der Unterstützung birgt, die bei leichten Steigungen nur wenig ins Gewicht fallen, bei langer Belastung an steilen Bergen aber eine Rolle spielen.
PRO
(+ gut ++sehr gut +++spitze)
+++ Ausstattung
+++ Verarbeitung
++ praktisches Handling im Alltag
++ Reichweite Akku (mit zweitem Akku +++)
+++ Design
++ Federung
+++ Zubehör
+ Parkmöglichkeiten (Platz)
+++ Fahrgefühl
+++ Komfort
+++ Einsatz in der Stadt
CONTRA
(- nicht empfehlenswert – – schlecht – – – Zumutung)
–– Kurvenverhalten
––– Geländetauglichkeit
Langer Lenker
Wer so ein hohes Scorpion Plus wählt wie ich in diesem Test, staunt wie lange der Lenker ist. Wenn man den Sitz abnimmt, um das Liegedreirad zu falten, wird der Skorpion eher zum Hirschkäfer. Damit das Gefährt trotzdem ins Auto passt, hat es HP Velotechnik auch hier mit einem Faltmechanismus ausgestattet, damit alles flacher wird.
Im Video bin ich etwas verblüfft darüber, dass ich an einer Seite mit Werkzeug herumhantieren muss, während die andere praktischerweise mit einem Schnellspanner ausgestattet ist. Dazu kam es, weil beim Testen im Krifteler Werk das hinzugezogenen Auto eine sehr großzügige Kofferraumöffnung hatte, die hoch genug für den Lenker war und man davon ausgegangen war, dass eine Seite zum Einklappen genügt (weil das Hinterteil des Scorpion Plus beim Falten zu einer Seite nach vorne geklappt wird, muss hier der Lenker mit hinunter, um Raum zu schaffen).
Die Krifteler wollten dem Kunden/der Kundin etwas Gutes tun, indem nach dem Transport nur eine Seite des Lenkers wieder neu eingestellt werden muss und die andere, nicht heruntergeklappte als Orientierung zum schnellen Einstellen dient. Nach meiner Rückmeldung haben sie zügig ihre ganz langen Lenker mit Schnellspannern auf beiden Seiten ausgestattet.
Kein Gelände-SUV aber Komfort-SUV
Auf unbefestigten (Wald)Wegen kann ich das Scorpion Plus mit hohem Sitz nicht empfehlen. Die Unebenheiten wirken als wäre das Liegedreirad überhaupt nicht gefedert und man wird arg durchgeschüttelt. Dadurch rutschte ich auch im Sitz ständig nach vorne, was zusätzlich unbequem war.
So entspannend das Dahingleiten auf Asphalt ist, so angespannt und angestrengt sitzt man dann bei Schotter im Sitz. Nein, da kann ich dem Vergleich mit einem SUV nicht zustimmen. Für Menschen, die ihren Rücken oder das gesamte Skelettsystem schonen müssen, kommt das nicht infrage. Bei anderer Sitzhöhe komme ich zu einem anderen Ergebnis (dazu mehr im nächsten Beitrag).
Dafür sind Aufstehen und Hinsitzen so komfortabel, wie das nicht mal ein Bürostuhl bietet. Dank des weit nach hinten führenden Bogens im Rahmen, muss man nicht mehr “einsteigen” und ein Bein über den Rahmen heben, um sich in Position zu bringen. Man kann einfach nach hinten an den Sitz herantreten, stößt mit den Oberschenkeln an den Sitz und lässt sich sanft sinken. Der Rücken wird gar nicht beansprucht.
Wer erhebliche Rückenprobleme hat oder sich aus anderen Gründen kaum beugen kann, der wird mit diesem Scorpion Plus überglücklich sein. Wenn ich so eine Einschränkung hätte, würde ich ohnehin nicht auf unbefestigten Straßen fahren, sondern überwiegend auf glattem Asphalt, dadurch fällt der oben genannte Nachteil weg.
Auf Asphalt gleitet das Scorpion Plus elegant und weich dahin. Hier ist die hohe Sitzposition dann auch äußerst komfortabel. Ich habe einen tollen Überblick, das macht im Straßenverkehr sicher und fast fühlt es sich so an, als säße ich in einem Cockpit, so erhaben ist das Fahrgefühl. Da fehlt nur noch eine Glaskuppel für die Fahrerin und das kleine Spaceschiff ist perfekt 🙂 .
Was den Luxus und Komfort angeht, kommen wir schon sehr nahe an den SUV.
Gemäßigtes Fahren erforderlich
Das spritzige um-die-Kurven-Sausen ist bei diesem Modell nicht möglich. Sportliches Fahren ist nicht angesagt, weil durch den hohen Schwerpunkt das Gefährt zu kippen droht. Schon wegen des Hundeanhängers rase ich nicht in Kurven, aber ich war oft gezwungen, noch viel vorsichtiger zu sein als mit meinem eigenen Scorpion fs, da ein Vorderrad schon mal abhob. Man ist also insgesamt eher behäbig unterwegs, was den Charakter des genüsslichen Dahingleitens unterstreicht.
Ich würde trotzdem nicht behaupten, dass das ganz hohe Modell ausschließlich etwas für Menschen mit körperlichen Einschränkungen wäre. Auch ein Unversehrter kann hier genau das richtige Trike gefunden haben, wenn beispielsweise Fahrten auf Feld- oder Waldwegen ohnehin so gut wie nie vorkommen (kürzere Stücke auf der Route sind tolerierbar) und der Faktor “sportliche Wendigkeit” eine eher untergeordnete Rolle einnimmt.
Ganz ehrlich, ich habe keine Rückenprobleme (noch nicht 😀 ) und fand das Aufstehen und Hinsitzen große Spitze und wesentlich angenehmer als bei meinem Scorpion fs.
Motor mit Rückwärtsgang
Mit dem Wechsel zu GoSwiss Drive hat HP Velotechnik eine sehr gute Entscheidung getroffen. Ich kann nicht darüber urteilen wie der Kundenservice im Schadensfall ist, aber das Produkt ist absolut das Beste, was ich bisher testen durfte. Auf Anregung der Krifteler hat der E-Motorenhersteller einen Rückwärtsgang eingebaut, was das Manövrieren um vieles vereinfacht. Gerade das Scorpion Plus ist schwer und da ist es toll, wenn man das Hinterteil des Trikes nicht anheben muss.
Es ist darüber hinaus äußerst komfortabel, wenn man sitzenbleiben kann, um zu rückwärts zu rollen, es erspart manch umständliches Manöver. Skeptiker könnten das als überflüssigen Schnickschnack verurteilen, aber das sind ähnliche Diskussionen wie die Notwendigkeit eines E-Motors überhaupt. Ich wage mal die Vorhersage, dass andere Hersteller nachziehen werden. Das ist natürlich nur für Liegedreiräder relevant, deswegen gab es diese Funktion noch nicht. Hier ist HP Velotechnik absoluter Vorreiter und hat ein einmaliges Produkt. Ich könnte mir vorstellen, dass auch motorisierte mehrspurige Lastenräder viel von einem Rückwärtsgang profitieren könnten.
Die Unterstützung ist bei diesem Motor immens stark. Im Video spreche ich ausführlich darüber und bin sehr begeistert. Für meine Lebenssituation ist das absolut traumhaft, da macht Liegedreiradfahren noch viel mehr Spaß. Manchmal lasse ich mich durchaus vom Radeln abhalten, weil es mir vor dem steilen Berg graust. Das ist besonders in der kalten Jahreszeit der Fall, wo mir sowieso jede Ausrede recht ist und auch an Tagen, an denen ich mich nicht sehr fit fühle, obwohl ich weiß, dass mir gerade dann eine Runde auf dem Rad besonders guttun würde.
Nach dieser Erfahrung fange ich zu sparen, um mein Scorpion fs auf GoSwiss Drive umzurüsten, darauf möchte ich nicht mehr verzichten.
Fazit
Das Scorpion Plus ist ein absolutes Luxusgefährt und keineswegs nur ein “Reha-Trike”. Gewohnt hochwertig und sorgfältig verarbeitet, wie wir es von HP Velotechnik kennen und mit vielen schönen Details auszustatten, die den ohnehin schon sehr hohen Komfort noch erhöhen. Die Handablage ist ein solches Detail das ich empfehle, weil die Schultermuskulatur wesentlich entspannter bleibt als ohne.
Wer mit dem Scorpion Plus liebäugelt, sollte unbedingt alle Höhen mit den verschiedenen Sitzen testen. Über Entscheidungshilfen beim Kauf werde ich im nächsten Testbericht mehr schreiben.
Im Vergleich zu den “normalen” Scorpionen ist das Scorpion Plus wuchtiger und nicht nur höher, sondern auch breiter. Das ist auch ein Kriterium, das es bei der Anschaffung zu bedenken gilt. Aber gerade das stärkere Erscheinungsbild hat auch einen ästhetischen Reiz, weil es sehr belastbar und robust wirkt, ohne gleichzeitig grob zu sein.
Ich bin nicht uneingeschränkt begeistert von diesem Modell, da für mich Geländetauglichkeit und Fahrspaß (um die Kurven) zählen. Deswegen habe ich auch noch ein Scorpion Plus mit 26 Zoll Hinterrad und mittlere Sitzhöhe getestet, denn den Komfort habe ich sehr geschätzt.
Ich bin nicht auf alle Details eingegangen, aber auf die mir am wichtigsten erscheinenden, sonst wäre der Bericht noch länger geworden. Ich beantworte gerne eure Fragen in den Kommentaren, wenn ich etwas nicht abgedeckt habe, das euch interessiert. Ich habe auch immer die Möglichkeit in Kriftel direkt nachzufragen.
Herzlichen Dank an HP Velotechnik nach Kriftel, die mir das Testrad mit allem ausgestattet haben, wonach ich fragte. Besonders bedanken möchte ich mich bei Alexander Kraft, der geduldig in unzähligen Telefonaten meine Fragen beantwortete, Testversionen von Videos durchsah und meine Kritik und Anregungen in Besprechungen mitnahm.
Ich hoffe, es hat euch genauso viel Spaß gemacht, das Video zu sehen und meine Beurteilung zu lesen wie mir, diesen Test zu machen. Danke fürs Mitmachen und euer Feedback, das ich schon vorab bekommen habe.
Ausstattung “Scorpion Plus 20” Testrad
Antrieb: GO SwissDrive 250 W (Akku: BMZ, 558 Wh) mit Shimano XT-Schaltung mit Lenkerendschalthebeln plus Rahmenschnellverstellung
Bremsen: Auriga Twin OneHand „E“ plus Parkbremse
Federung: Stahlfeder
Reifen: Marathon Plus
Lichtanlage: Akku IQ Fly
Spiegel: B+M „E“
Weber-Kupplung
Sitz: ErgoMesh HS Plus mit Kopfstütze (HP Velotechnik)
Handauflagen (HP Velotechnik)
Gepäckträger (HP Velotechnik) mit Lowrider
Schutzbleche (HP Velotechnik Trike Fender)