Ein Gastbeitrag von Eduard J. Belser
Spezi 2023 – Der gelungene Neustart in Lauchringen
HP Velotechnik – Den Pendlerverkehr aufmischen
Gut hat unsere heiss geliebte Messe für besondere Fahrräder und energieeffiziente Ultraleichtfahrzeuge mit Muskelkraftunterstützung samt Zubehör nach der Corona-Krise mit Wolf & Wolf einen neuen Organisator und einen neuen Veranstaltungsort in der ehemaligen Textilfabrik Lauffenmühle in Lauchringen am Südschwarzwald nahe der Schweizergrenze gefunden. Ein vielversprechender Neuanfang! 83 Aussteller präsentierten 123 Marken und stellten über 200 Testfahrzeuge für Probefahrten bereit. D. h. mein Bericht muss sich auf eine Auswahl beschränken. Die Teststrecke erstrahlte andauernd in dem uns bestens bekannten Liegerad-Grinsen und die von mir besuchten Aussteller machten auch einen zufriedenen Eindruck.
Der beeindruckende Publikumszulauf aus aller Herren Länder verpasste Lauchringen und dem Südschwarzwald eine regelrechte Internationalisierungs-Spritze, die hoffentlich nachhaltig wirkt und mithilft, den Fortbestand der Spezi zu sichern. Vielleicht wird man in Zukunft sogar vor Ort Liegeräder für genussvoll, leise, die Nerven der vom Motorradlärm terrorisieren AnwohnerInnen schonenden Schwarzwald-Touren mieten könnten. Der Start der neuen Spezi ist auf jeden Fall aus meiner Sicht voll gelungen und ein grenzübergreifender Gewinn für die gesamte Region.
Herausstechende Neuheiten bei HP Velotechnik war die S-Pedelec-Versionen der zweirädrigen Speedmaschine und des nochmals überarbeiteten Scorpion fx mit NeoDrive Z20 RS der bis 45 km/h unterstützt. Das sind echte Sportfahrzeuge, deren FahrerInnen über die prollig-protzigen, resourcenverschleudernden «Sportwagen» von Porsche & Co. nur mitleidig grinsen können. Beide Räder verfügen nun über eine EU-Konformitätsbescheinigung, die HP-Velotechnik als entsprechend zertifizierter Hersteller selbst ausstellen darf. Damit entfällt die aufwändig Einzelabnahme durch den deutschen TÜV. Hoffentlich ist es damit endlich auch möglich, die S-Pedelec-Version des Scorpions fs gesetzeskonform auf die Schweizer Strassen Strassen zu bringen. Der dafür zuständige Eidg. Amtsschimmel zeigte sich da leider bisher besonders bockig, uneinsichtig und wenig lösungsorientiert. Mit diesen beiden Rädern kann HP Velotechnik den klimaschonenden, energieeffizienten Pendlerverkehr mit Muskelkraft betriebenen und elektrisch unterstützten Ultraleichtfahrzeugen aufmischen und neue Massstäbe setzen.
Neu angeboten wird für die ShimanoSteps-Antriebe die stufenlose Enviolo-Trekking-Automatiq-Nabenschaltung. Dieses raffinierte, wartungsfrei gekapselte, mit Stahlkugeln arbeitende Planetengetriebe wurde früher handgeschaltet unter dem Markennamen NuVinci verkauft. Es bietet hohen Komfort, ist aber konstruktionsbedingt in der Bandbreite der Übersetzungen auf 380% beschränkt, d.h. eher für flacheres Gelände geeignet.
Die bewährte 14-gängige Rohloff-Nabenschaltung bringt es auf bergtauglichere 524% und die von mir bevorzugte Pinion C1.12 Tretlager-Getriebeschaltung sogar auf stolze 600%.
Gezeigt wurde auch der innovative, besonders durchdachte Handybike-Vorbau für den Gekko und den Scorpion fs, der auch Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen den Zugang zu Liegetrikes und damit einer neuen Dimension der Mobilität mit eine höherer Lebensqualität ermöglicht.
HaseBikes – Gut sortiert und multifunktional auf zwei und drei Rädern
Auch HaseBikes war mit einem grossen, elegant gestalteten Stand, sowie zahlreichen Ausstellungs- und Testrädern vertreten. Hier standen das wandelbare PinoCargo und die besonders für den Reha-Einsatz geeignete Motorisierung des Kettwiesels mit dem Bafang-Motor im Focus.
Foto: Eduard J. Beser
Das PinoCargo ist ein ernstzunehmender, vollwertiger Autoersatz für Familien mit Kindern und entsprechend grossen Einkaufsbedürfnissen, aber auch ein tolles Reiserad für zwei mit viel Transportkapazität für Campingausrüstung usw. Ein wandelbares, vielseitiges Schweizer Taschenmesser auf zwei Räder, das man stark zunehmend auf unseren Strassen wahrnimmt.
Sehr durchdacht, sauber verarbeitet und alltagstauglich ist auch die zentral an der Sitzlehne befestigte Blinkeranlage von HaseBikes. Diese strahlt mit einer besonders hellen LED-Variante gut sichtbar nach vorne und hinten und überragt trotzdem das Kettwiesel nicht ungeschützt und verletzlich. Dies ist auch beim Bahnverlad ein Vorteil. Eine beispielhafte Lösung. Vielleicht kläre ich einmal ab, ob sich diese Blinkeranlage auch an meinem HP Velotechnik Scorpion fx montieren liesse. Mit einem entsprechenden Montageblech müsste das möglich sein.
Der bekannte, sechsgliedrige Kettwiesel-Tatzelwurm von HaseBikes war wie eine Kirmesattraktion ständig voll besetzt mit fröhlich lachenden Menschen und flatternden Werbebanner auf der Teststrecke unterwegs. Auch das gehört zur Spezi.
AzubBike – Klein, aber fein
Auch die kleine aber feine, tschechische Liegerad-Manufaktur AzubBike aus der südöstlichsten Ecke Mährens war mit einem grossen, gediegen gestalteten Stand mit Ableger an der Teststrecke und einer breiten Auswahl aus ihrem Angebot präsent. Der Stand bot auch zahlreiche bequeme Sitzgelegenheiten an, die zum staunenden Verweilen einluden und von meinem übellaunigen Rücken geschätzt wurden. Auch bei AzubBike fiel mir der neue Liegeradsitz auf, der wie jene von HP Velotechnik und HaseBikes aus unterschiedlichen, körpergerecht angeordneten Polsterelementen aufgebaut ist. Diese drei Liegeradsitze allein, wären einen ausführlichen Vergleichstest wert.
Foto: Eduard J. Beser
Schon zu k.k. Kaiser-Zeiten waren die Maschinenbauer aus Böhmen und Mähren für ihre Qualität und ihren Erfindergeist geschätzt. Eine Tradition, die bei AzubBike offensichtlich und mit Herzblut gelebt wird. Schade, sind die tollen Räder von AzubBike im deutschsprachigen Raum noch nicht so verbreitet und das Fachhändlernetz leider noch entsprechend dünn. Angesichts meiner Ungeübtheit in Englisch hätte ich mich auch über Deutsch sprechendes Standpersonal gefreut.
Liegetrike fahren macht süchtig und beim Ausleben dieser Sucht geht oft das Bedürfnis des Körpers nach regelmässiger Flüssikeitsversorgung vergessen. Man ist schlicht weg zu faul, anzuhalten, abzusteigen und zu trinken. Bei AzubBike hat man sich dazu etwas einfallen lassen. Der Trinkflaschenhalter kann mit dem Zubehör MultiMount ebenso mahnend, wie griffbereit im Sichtfeld des Fahrenden über dem Lenklagern des rechten und/oder linken Rades montiert werden.
Hoffentlich wird bei solchen nützlichen Details ein ähnliches Wettrüsten stattfinden wie bei den Liegeradsitzen. Ich hätte das nützliche Zubehör auch gerne an meinem neuen Scorpion fx von HP Velotechnik.
Wolf & Wolf – Filigran und alpenerprobt
Der neue Spezi-Veranstalter Wolf & Wolf zeigte an seinem Stand seine hochwertigen, alpenerprobten Liegeräder mit dem filigranen Stahlrohrrahmen und der eleganten Einholm-Gabel. Leider fehlte aus meiner Sicht am Stand eine Version mit Pinion-Tretlager-Getriebeschaltung und NeoDrives Nabenmotor. Damit wären diese für Langstreckentouren ausgelegten Liegeräder noch perfekter als sie es bereits sind. Die klapprige, unterhaltsaufwändige, prinzipiell veraltete und vor allem nicht im Stand schaltbare Kettenschaltung wirkt da irgendwie fehl am Platz.
Foto: Eduard J. Beser
Generell ist dazu zu sagen, dass Kettenschaltungen an Liegerädern und, vor allem an Liegetrikes , fehl am Platz sind. Hat man sich vor einem Stopp in einen zu hohen Gang verschaltet, kann man nicht, wie bei einem normalen Fahrrad, im Tretrollermodus wenigstens so weit in Gang kommen, dass man schalten kann. Das ist nicht nur sehr unangenehm, sondern kann im Verkehr auch gefährlich sein.
Aidoo – Fahrradanhänger mit Edelstahl-Rückgrat
Nebst dem seit Jahren etabliertesten grossen Hersteller von Fahrradanhängern Hinterher aus München, zeigte auch die Firma Aidoo aus Seelbach bei Lahr im Schwarzwald Hochwertiges. Basis für deren Fahrradanhänger ist ein Zentrahlrohrchassis aus Edelstahl in unterschiedlichsten Grössen mit einer Torrsionsfederung mit geländetauglichem, grossem Federweg. Dieses lässt sich für unterschiedlichste Transportbedürfnisse mit Plattformen, Alu-Transportboxen, Hundeboxen, Träger für Kajaks usw., sowie unterschiedlichen Deichseln und Kupplungssystemen bestücken.
Eine vom Lenker des Fahrrades zu bedienende, hydraulische Scheibenbremsanlage am Anhänger und unterschiedliche Ausführungen.von Beleuchtungen sind ebenfalls lieferbar. Eine ausgeklügelte Eigenentwicklung von Aidoo sind Kupplungen für die Bremsleitungen zum Anhänger. Diese verhindern beim Abkuppeln des Anhänger den Austritt von Bremsflüssigkeit und das Eindringen von Luft in die Bremsleitungen.
Mit Elastomer-Einsätzen in verschiedenen Härten lässt sich die Federung der Belastung anpassen.
Eine vom Lenker des Fahrrades zu bedienende hydraulische Scheibenbremsanlage am Anhänger und unterschiedliche Ausführungen von Beleuchtungen sind ebenfalls lieferbar. Eine ausgeklügelte Eigenentwicklung von Aidoo sind Kupplungen für die Bremsleitungen zum Anhänger. Diese verhindern beim Abkuppeln des Anhänger den Austritt von Bremsflüssigkeit und das Eindringen von Luft in die Bremsleitungen.
Beeindruckend war ein grosser «bernhardiner-tauglicher» Hundeanhänger mit Dachreling aus dem Flugzeugbau. An einer Sitzgelegenheit mit Tischen durfte man sich, mit Kaffee verwöhnt, kompetent beraten lassen.




Fotos: Eduard J. Beser
Was ich persönlich auf der Spezi vermisst habe
Leider war Pinion nicht anwesend. Ich hätte gerne die angekündigte elektrisch schaltbare Version der Pinion C1.12 Tretlager-Getriebeschaltung neidvoll begutachtet. Diese Option lässt sich leider konstruktionsbedingt nicht nachrüsten, so dass ich bei meiner handgeschalteten Version bleiben werde.
Zusammen mit den Elektro-Antrieben von NeoDrives, angesteuert über eine Spracheingabe und mit einem kleinen Helmdisplay, der sich aus dem Augenwinkel beobachten lässt, wäre das eine tolle Lösung für Reha-Liegetrikes oder S-Pedelecs als flinke Pendlerfahrzeuge im dichten, anspruchsvollen Stadtverkehr.
Vermisst habe ich auch die besonders kompakten, leichten E-Bike-Antrieb von Fazua. Dieses vielversprechende Jungunternehmen ist seit 2022 Teil des Porsche-Konzern. Offensichtlich will sich Porsche ein zukunftsorientiertes Standbein im Bereich der echt sportlichen Fahrzeuge zulegen, mit denen mehr als nur die lächerlich nebensächlichen Muskeln des Gasfusses trainiert werden können – so quasi Porsche ohne nervendes, aggressives Brunstgeröhre aus der Auspuffsröhre. Allerdings dürfte das Kompensieren von Defiziten zwischen den Ohren und hinter dem Hosentürchen mit einem E-Bike schwierig sein, da sind dann wirklich echte Qualitäten statt aufgeblähtem Blech und PS gefragt.
Fertig gelästert und Spass beiseite. Die E-Bike-Antriebe von Fazua könnten eine neue Chance für super-kompakt zu faltende, leichte E-Liegetrikes für die Mitnahme im ÖV sein. HP Velotechnik hat diesen Antrieb vermutlich auf dem Radar und überrascht und vielleicht an der Spezi 2024 mit einem entsprechend überarbeiteten Gekko oder AzubBike springt auf diese Idee auf. Da würde ich sehr gerne mit diskutieren und Ideen einbringen. Mit einem solchen E-Faltliegetrike in der neuen Generation der NightJet-Nachtzüge und Hochgeschwindigkeitszügen klimaschonend reisen und Städte wie Paris, Wien, Prag, Hamburg usw. radelnd zu erkunden, das ist Stoff zum Träumen.
Herzlichen Dank an die Organisatoren und ihre HelferInnen
Wolf & Wolf sei herzlich gedankt, dass sie das anspruchsvolle und zeitaufwändige Organisieren der Spezi am neuen Ort auf sich genommen und auf Anhieb einen so guten Anschluss an die langjährige Spezi-Tradition von Germersheim geschafft haben. Auch die Gemeinde Lauchringen, sowie die lokalen Vereine, das Gewerbe und weitere HelferInnen haben sich offenbar dankenswerterweise für die Spezi engagiert und zum guten Gelingen beigetragen. Wir mussten lange genug unter dem coronabedingten Spezi-Entzug leiden und haben die neue Spezi umso mehr dankbar und in vollen Zügen genossen.
Es hätte noch viel, viel mehr Berichtenswertes zu sehen gegeben, aber nach der Spezi 2023 ist ja bereits wieder vor der Spezi 2024. Diese soll am Wochenende vom 27./28. April 2024 stattfinden.
Anreise nach Plan B
Das grausig nasse Wetter und eine noch nicht voll auskurierte Bronchitis haben meinen ganzen, sorgfältig erarbeiteten Reiseplan A, die je 80 km zu Radeln, zunichte gemacht. Ich musste nach Plan B auf den ÖV ausweichen, was, allerdings mit häufigem Umsteigen, überraschend gut funktionierte – man staune: sogar auf der Deutschen Seite! Aber von Koblenz über Waldshut nach Lauchringen mussten sich die vollbesetzten Busse nervend langsam durch das automobile Chaos quälen. Und in jedem diese absurd überdimensionierten, tonnenschweren Blechfetischen sass meist nur eine einzige Pappnase – einfach nur völlig aus der Zeit gefallen und unglaublich irre! Ich konnte nur davon träumen, wie ich da mit meinem leichten Scorpion hätte neben durch flitzen können. Einmal mehr zeigt sich: Das Fahrrad ist das Nahverkehrsmittel der Vernunft und der Zukunft! Nur Dummköpfe und eine gewisse Sorte von PolitikerInnen können das noch leugnen.
Meine ÖV-Route folgte grösstenteils meiner geplanten Radroute, und ich konnte feststellen, dass die Bahnhöfe Olten, Turgi, Koblenz und Bad Zurzach perfekt barrierefrei ausgebaut sind, d.h. es wäre mir problemlos möglich gewesen, in eindreiviertel Stunden meinen Scorpion entspannt mit niederflurigen Regionalzügen bis Koblenz zu transportieren und von dort in einer halben Stunde die verbleibenden zehn Kilometer auf sicheren Radwegen, ohne grosse Steigungen, an die Spezi zu radeln. Gut zu wissen: Die nächste Spezi in Lauchringen ist für mich so als Tagesausflug ohne bindende Hotelreservation zu machen. Damit kann ich allenfalls ein Hotelzimmer Gästen überlassen, die von weiter her anreisen müssen.