Die Preise für ein Liege(drei)rad ist in dieser Saison deutlich gestiegen. Da kommen schnell einige hundert Euro mehr zusammen als noch im Vorjahr für das gleiche Produkt. Viele von uns fragen sich womit sich dieser Anstieg begründet? In diversen Internetkommentaren äußert mancher die gehässige Vermutung, die Hersteller hätten sich mehr oder weniger darauf geeinigt, sich mal so richtig die Taschen vollzustopfen.
Kursschwankungen in der Währung und Materialverteuerungen bringen immer mal wieder Preisanstiege mit sich, aber so eine saftige Preiserhöhungen wie in diesem Jahr (immerhin bis zu 14 Prozent für manch Zubehör), lässt in der Liegerad-Gemeinschaft den ein oder die andere mit großen Fragezeichen auf der gerunzelten Stirn zurück.
Was ist da los?
Ich habe bei den beiden Herstellern Hase Bikes und HP Velotechnik nachgefragt und beide haben mir bereitwillig Auskunft gegeben. Den Unmut, den ich bei vielen von euch über die Preiserhöhungen höre und lese, kam bei den Telefoninterviews von den Herstellern übrigens genauso zu mir rüber. Die Hersteller sind sehr unglücklich über die preisliche Entwicklung und sich sehr wohl bewusst darüber wie das bei uns KundInnen ankommt und was für eine Stimmung das kreiert.
Hase Bikes
Der Hersteller aus Waltrop tut sich besonders schwer, die Preise 1:1 an seine KundInnen weiterzugeben. Insgesamt hätten sich ihre Liegedreiräder “nur” um fünf bis sechs Prozent verteuert, was zu 99 Prozent dem Dollarkurs geschuldet sei, denn alle Produkte, die Hase Bikes kauft um seine Räder zusammenzustellen, bezahlen sie in Dollar auf dem internationalen Markt. Es gab zwar auch einen Anstieg bei den Rohstoffen wie z.B. beim Aluminium zu verzeichnen, aber der löst nicht so eine schmerzhafte Preisgestaltung aus.
Veränderte Preisstruktur – unabhängig von den Erhöhungen
Auf den ersten Blick sieht es sogar so aus, dass Hase Bikes am meisten an der Preisschraube gedreht hat, was sie aber mit folgender Begründung widerlegen möchten:
Bislang konnte man ein durchkonfiguriertes Liegedreirad mit einigen Extras bestücken. Nun ist das Basismodell deutlich günstiger, da es “nackter” ist als bisher gewohnt und der Kunde oder die Kundin stellt sich das Traumvelo gemäß dem Baukastensystem noch individueller zusammen. So entdecken “alte Hasen” in der Preisliste bei einem Zubehör oder Bauteil plötzlich einen Preis, wo vorher die Null stand. Damit entsteht der Eindruck, alles sei plötzlich ziemlich teuer geworden. Ein Blick auf die neu überarbeitete Website lohnt sich. Der toll im Design und durch die klar strukturierte Optik sehr kundenfreundliche und einfach zu bedienende neue Konfigurator ist sehr gut gelungen.
Der US Dollar ist dem Euro gegenüber sehr stark, v.a. seit die USA unabhängiger von importiertem Erdöl sind, weil sie u.a. nun Erdgas durch Fracking gewinnen. (Das ist natürlich eine sehr vereinfachte Darstellung eines hochkomplexen Zusammenspiels und ich möchte um Himmels Willen keine Debatte um das umstrittene Verfahren des Fracking auslösen! Wie rasant sich der Dollarkurs im vergangenen Jahr entwickelt hat und welche Faktoren da mitspielen, kann jedeR selbst recherchieren.)
Für uns Deutschen ist die Auswirkung deswegen schmerzhaft zu spüren, die Amerikaner dagegen frohlocken: Nie war es so günstig für sie, ein Spezialrad von Hase Bikes zu erstehen wie jetzt.
Marec Hase hat beschlossen die Preisanstiege nicht auf einen Schlag an seine KundInnen weiterzugeben, wie das kaufmännisch eigentlich erforderlich wäre. Er entschied sich stattdessen dafür, die Erhöhung über die kommenden Jahre zu verteilen, damit dieses Jahr nicht so ein krasser Anstieg zu verbuchen ist, was er kundenfreundlicher findet. Dafür nimmt er einen schmäleren Gewinn in Kauf.
Auf Facebook hatte ich gefragt, ob jemand bezüglich der Preiserhöhungen bei Hase Bikes eine Frage habe. Die Frage von Gerhard spricht eine grundsätzliche Änderung in der Firma Hase Bikes an, die ich euch an dieser Stelle natürlich nicht vorenthalten möchte.
Hase Bikes antwortet darauf, dass auch sie sich ein größeres Händlernetzwerk wünschten und dies immer ein Schwerpunkt ihrer Bemühungen sei. Eine Analyse zeige, dass es in 75 von 91 Großstädten in Deutschland noch keine Hase Bikes Händler gebe. Das liege zum einen am Nischendasein der Liegedreiräder, aber auch daran, dass in Großstädten der Bedarf ein ganz anderer sei, schon platzbedingt.
In Zeiten urbanen Lifestyles – das Pino
Und hier setzen die Waltroper nun auf einen Trend, dem ihr Lasten-/Tandemrad Pino gerecht wird: Urbane Mobilität verzichtet immer häufiger auf das Automobil und verlangt nach Alternativen, wie z.B. das Lastenrad. Das Pino wird nun ein weiterer Schwerpunkt bei Hase Bikes und ein Händlernetzwerk dafür aufgebaut. Für viele “normale” Fahrradhändler ist es in Großstädten sehr attraktiv und wer weiß – vielleicht finden dadurch auch die Liegedreiräder ihren Weg zu Händlern, die sich sonst nie für die dreirädrigen Exoten interessiert hätten…
Damit hat Hase Bikes eine ganz andere Zielgruppe im Auge als bisher. Dennoch müssen die Anhänger von Kettwiesel & Co nicht bangen – die Sparte der Liegedreiräder wird nicht vernachlässigt werden und es werden weiterhin tolle Innovationen kommen. Das Pino hat seit diesem Jahr auch seine eigene Website: www.pinobikes.com
HP Velotechnik
Die Krifteler nennen den zentralen Punkt für ihre Preiserhöhung: den Dollarkurs
Plötzlich habe sich der Kurs innerhalb kurzer Zeit zu Ungunsten des Euros entwickelt, aber da die Ware ausschließlich in Dollar zu bezahlen sei, hätte man nun für das bisher gleiche Geld weniger Ware erhalten. Bis zu über 30 Prozent müsse man als Firma mehr bezahlen, dadurch käme die deutliche Preiserhöhung bei den Liegerädern.
HP Velotechnik weist darauf hin, dass die gesamte Fahrradbranche aus diesen Gründen ihre Preise angezogen habe. Allerdings nicht in allen Fällen so krass, was daran liege, dass die Massenanfertigung großer Hersteller mehr Spielraum lasse als einer vergleichsweise kleinen Manufaktur zur Verfügung stehe. Um weiterhin bestehen zu können (und hier denke man auch v.a. an die Verantwortung den MitarbeiterInnen gegenüber) müsse die enorme Preiserhöhung am Großmarkt leider an die KundInnen weitergegeben werden.
Leicht fällt das auch den Kriftelern nicht. Sie sind sich bewusst, dass bei dem Preissegment, in dem sie sich mit ihren von Hand zusammengebauten Liegerädern bewegen, jede weitere Steigerung empfindlich wahrgenommen wird. Und so spielt sich dort hinter verschlossenen Türen des Paul Hollants Folgendes ab:
Jeder einzelne Posten, jedes Bauteil, das verwendet wird, wird von ihm akribisch berechnet. Statt also einfach eine pauschale Erhöhung zu vollziehen, ermittelt der Mitbegründer von HP Velotechnik ganz fair die Einzelstückpreise.
Dabei heraus kommt dann auch konkret: Die Währungsentwicklung in Japan (der Yen) verlief ganz anders als der Dollar, so dass Shimano sogar günstiger geworden ist. Diese, zwar im Vergleich zu den meisten anderen Teilen am Liegerad wenig ins Gewicht fallende Vergünstigung wird ebenfalls fair kalkuliert und an die KundInnen weitergegeben.
HP Velotechnik hatte schon im vergangenen Sommer seine Händler auf die drohende Preisentwicklung hingewiesen. Denn, im Gegensatz zu anderen Fahrradherstellern, die schon mitten in der Saison die Preise anzogen, hätte der Liegeradspezialist das ihren Händlern und KundInnen nicht zumuten wollen und bis zum November 2015, mit Erscheinen der neuen Modelle, gewartet (und in diesem Zeitraum den deutlichen Verlust beim Gewinn in Kauf genommen). Diese Monate hätten sie genutzt, um alle darauf hinzuweisen, denn mancher Kunde oder Kundin hätte damit noch die Chance gehabt, ein Liegerad zu alten Preisen zu erstehen. Für einige Leute wäre das relevant gewesen; diejenigen, die sowieso schon zum Kauf entschlossen gewesen wären, hätten die Gelegenheit durchaus genutzt und waren sehr dankbar über die frühzeitige Information.
Dann noch der Schweizer Franken
Deutsche Hersteller wie Rohloff oder SON haben ihre Preise nur ganz sachte erhöht (um etwa 2 Prozent) und bleiben damit relativ stabil, das unterstreicht, was die Spezialradmanufakturen sagen.
HP Velotechnik weist auch darauf hin, dass ein weiterer Aspekt bei ihren Rädern zu beachten sei: Der Schweizer Franken sei plötzlich vom Euro abgekoppelt worden, was relevant wäre, weil GoSwiss Drive von einem Schweizer Hersteller bezogen werde. Das ist der Motor, der bei ihren Pedelecs verbaut wird. Nach konkreten Preisänderungen habe ich hierfür nicht explizit gefragt, aber da ich mir ernsthaft überlege, auf GoSwiss Drive umzusteigen, werde ich den aktuellen Preis beim entsprechenden Beitrag natürlich nennen.
Gemischte Reaktionen der KundInnen
Schon auf der Eurobike habe ich mit den Herstellern über die Preiserhöhungen ausführlich gesprochen. Klar ist, dass sich diejenigen, die sich sehnlichst ein Liegerad oder Liegedreirad wünschen, davon nicht abhalten lassen werden. Manche meinen augenzwinkernd, dass sie dann eben einige Monate länger sparen müssten (wenngleich auch der Mund sich bei dieser Aussage ein wenig schmerzhaft verzieht).
Andere reagieren verzweifelter, rückt ihr Traum doch in noch weitere Ferne (bei sehr niedrigem Einkommen und körperlichen Einschränkungen, wo es noch unrealistischer wird, dass die Krankenkassen irgendetwas beisteuern z.B.).
Auf der Eurobike war aber auch klar: Die neuen Modelle bieten teilweise mehr und haben sich weiterentwickelt. Man bezahlt nicht einfach mehr Geld für das identische Liegedreirad wie ich so aufreißerisch im zweiten Satz andeute 😉 .