Mein jüngster Fan

Mit dem Trike habe ich fast immer schöne Begegnungen. Meistens sind die Menschen nett und sprechen mich an. Sie haben Fragen, Kommentare oder teilen mir einfach ihre Freude am Anblick mit.

Das erzählte ich auch Johanna Nimrich, die mich am Telefon für die Zeitschrift Radfahren interviewte. In der aktuellen Mai-Ausgabe hat die Redaktion allerlei Liegeräder verschiedener Hersteller getestet und bewertet. Es hat mich begeistert, dass die Liege-Trikes so viel Platz in einer renommierten Zeitschrift bekommen.

Radfahr Zeitschrift mit Liegeradfrau

Was das für Begegnungen sind, beschreibe ich heute etwas ausführlicher.

Weg frei

Ich radle auf dem Waldweg, und da die Hunde neben mir laufen (müssen), weil ich nicht immer erkennen kann, ob jemand auftaucht, bleiben sie an meinem rechten Arm stehen als ich anhalte. Ein Jogger nähert sich uns. Ein dicker Ast versperrt mir den Weg.

Ich warte bis der Mann vorbei läuft, damit ich um den Ast herumfahren kann. Bei mir angekommen, bleibt er stehen, grüßt fröhlich, geht auf mich zu und wird gleich die Hunde tätscheln wollen, so denke ich, innerlich am Seufzen. Wie sollen die beiden jemals damit umgehen können, dass sie bei mir bleiben müssen und nicht zu jedem hinrennen, wenn so viele Leute sie immerzu herzen möchten? Und tatsächlich! Der Mann bückt sich hinunter und …. räumt den Ast beiseite, damit ich freie Fahrt habe.

Auf dem Wochenmarkt

Wie immer bin ich früh dran. Wie immer parke ich am Rande des Wochenmarktes an der Kirche, wo ich genug Platz finde und nicht im Wege stehe. Doch heute verabschiede ich mich nicht nach fünf Minuten netten Austauschs mit einem neugierigen Menschen oder kollegialer Fahrradkunde
- Was für einen Motor hast du verbaut? Ja, Lastenräder finde ich auch toll, deins sieht super aus! -

Denn heute spricht mich ein Kind an, etwa acht Jahre alt.

Innerhalb kurzer Zeit weiß ich:
Wie der Junge heißt, wo er wohnt, dass er auch einen Hund hat „aber einen großen“, dass seine Eltern nichts dagegen haben, wenn sie gerade nicht wissen wo er sich herumtreibt, dass er der Älteste der Geschwister ist, wo seine Eltern arbeiten und was er am liebsten isst.

Er möchte die beiden Hunde sehen. Ich lade sie aus und lasse sie mit ihm interagieren so gut es an der Leine geht. Der Junge ist hingerissen und kann gar nicht mehr ablassen. Ich erkläre, dass ich nun einkaufen gehe und die Hunde zurück in den warmen Anhänger müssten. Er erklärt sich zum Türsteher meines Hundeanhängers und Leibwache der beiden Windspiele.

Einpacker und Einkäufe-Schlepper

Ich lasse die Diskussionen nun aus und kürze ab.

Der äußerste selbstbewusste kleine Mensch hat eine neue Jobbeschreibung gefunden und ist jetzt mein persönlicher Assistent. Er begleitet mich an alle Stände, packt die Ware in meine Radtaschen und besteht darauf, mindestens eine für mich zu schleppen.

Unterwegs plappert er ohne Strich und Komma und liest mir die Schilder der Aussteller vor. „Liiieepp-p-p-p-eeee …. kwwa-liiii-teeeeet - ui, das ist aber ein schwieriges Wort!“ Ich mache ihn stolz mit meiner Behauptung, dass kein anderer Grundschüler „Lippequalität“ so gut und richtig aussprechen könne wie er.

Wachteleier

Es gibt einen besonderen Stand, wo ich Kaninchen kaufen kann, die die Hunde ab und zu bekommen. Die Knochen sind genau richtig für zarte Windspiel-Kiefer.

Mein treuer Begleiter verstummt plötzlich. Er hat Wachteleier entdeckt und fragt den Verkäufer, was das sei. 

Plötzlich tauchen die Eltern auf und reden aufgeregt auf ihren Jungen ein. "Wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht! Du kannst doch nicht einfach so untertauchen!" (Von wegen, "meine Eltern wissen Bescheid, wir machen das immer so!")

Die Mutter lächelt gequält, ich erkenne: das ist eine typische Situation für sie. Sie beginnt, sich für die Aufdringlichkeit des Jungen zu entschuldigen, aber ich schwärme von der Hilfsbereitschaft, dem Charme und den exzellenten Manieren ihres Sohnes. Die Eltern blicken mich fassungslos an.

(Was ich verschweige: Ich bin fix und fertig. Mein Kopf brummt, ich fühle mich verantwortlich für ein fremdes Kind und tue mich schwer, es einfach stehen zu lassen. Zum Glück sind die Eltern endlich da! Alle Verkäufer an den Ständen denken, das sei mein Kind, das da so distanzlos alles anfassen möchte und einfach drauflos erzählt. Ich ernte strenge Blicke. Ich bin den Umgang mit Kindern nicht (mehr) gewöhnt, deswegen überfordert mich das ein bisschen.)

Wer hat an der Uhr gedreht?

Tatsächlich erinnert er mich an einen Jungen, den ich nachmittags in einem Nachhilfeinstitut unterrichtete. Zur Überbrückung zwischen meiner alten und neuen Arbeitsstelle arbeitete ich dort als Lehrerin. Er war zwölf und war der Klassenclown. Würde man ihn pathologisieren wollen, kämen einige Diagnosen zusammen, die den Einsatz von Medikamenten zur Konsequenz hätten.

Er hatte einen wachen Geist und spielte gerne Streiche, auch mir. Ich mochte ihn total gerne.
Einmal brachte er mich dazu, ihm etwas zu kopieren und nutzte meine Abwesenheit, die Uhr an der Wand vorzurücken. Ich entließ die Klasse über eine halbe Stunde zu früh. Und kassierte einen Anschiss, der sich gewaschen hat. Aufsichtspflichtverletzung etc. pp. Naja. Es half sicher nicht, dass ich dauernd lachen musste ... 

Ein paar Wochen später saß ich in einer Konditorei und löffelte selig eine Sahnetorte. Die Inhaberin kam zu mir an den Tisch. "Äh, ich habe zufällig Ihren Namen gehört. Sie unterrichten meinen Sohn." Dabei zog sie den Kopf ein und zog die Schultern hoch. Ich konnte förmlich ihre Gedanken hören und wusste, was sie als Antwort erwartete.

Nach unserer Unterhaltung strahlte sie übers ganze Gesicht und brachte mir noch ein Stück Torte, plus Schoki mit Sahne, wie das im Badischen heißt. "Das ist das erste Mal, dass eine Lehrerin meinen Sohn sympathisch findet und sich nicht beschwert."

Schmusen als Lohn

Am Marktstand drücke ich meinem kleinen Freund zwei gesprenkelte Wachteleier in die Hand. "Fürs Tragen meiner Tasche" und verabschiede mich. Er aber erklärt seinen Eltern, dass sie auf ihn warten müssten bis er zurück sei, denn er würde auf jeden Fall mit mir zurück zum Trike gehen und noch mal mit den Hunden spielen. Vater und Mutter seufzen resigniert und lassen ihn ziehen.

Ich habe wirklich eine Schwäche für Menschen, die sich von der Masse abheben. Ich liebe Kinder, die so gar nicht das tun, was die Erwachsenen von ihnen verlangen, auch wenn es anstrengend ist.

Schließlich wollte der junge Mann nach all der Schlepperei auch seine Belohnung bekommen. Mit den Hunden schmusen! Wer ist schon so blöd und arbeitet umsonst?

Als Alva und Luna sein ganzes Gesicht mit Hundeküssen bedecken, sehe ich den Jungen als fast erwachsenen Mann vor meinem inneren Auge. Ich hoffe inständig, dass ihn Erziehungspersonen auf dem Weg dorthin begleiten werden, die erkennen, was für ein großes Potenzial in dieser  außergewöhnlichen Persönlichkeit steckt. 

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Axel - 6. Juli 2021 Reply

Ich mag deinen Schreibstil: kurzweilig die Dinge auf den Punkt gebracht; angenehm formuliert ohne zuviel Detail-Firlefanz.

Solltest du mal zuviel Zeit haben (und wir wissen, das wird nie passieren), könntest du mal über das Verfassen eines Anekdoten-Bändchens nachdenken. Ich würds kaufen.

So unterhaltsam die Lektüre war, hat mich doch mehr noch der eingangs angesprochene Liegeradtest (!) sowie das Interview mit der Liegeradfrau (die aussieht wie die Liegeradfrau 😉 ) interessiert.
Schade, dass du da selbst nicht näher drauf eingegangen bist. so dachte ich, der Link zu “Radfahren” wird mich schon dahin führen.
Pustekuchen! Man landet auf der HP von “Radfahren”. Dort gibt es ne Menge Tests von Einzelrädern in Kurzversion, auch verschiedene Redaktionbeiträge, aber keine Liegeradtests und keinerlei Interviews (ausser “alte”).

Auch selber suchen führt zu keinem Ergebnis. Die aktuelle Ausgabe (nunmehr Juni) wird vorgestellt, bzw ihr Inhalt. Man kann sie elektronisch kaufen oder abonnieren (will ich nicht); vorhergehende Ausgaben sind nicht abrufbar, also nicht mal zur Info.

Dass man Tests, evtl auch relevante, aktuelle Beiträge nicht kostenfrei abgeben möchte, ist ja legitim. Es gibt aber nicht mal einen Hinweis, ob es das eine oder andere gegeben hat.

Jetzt frage ich mich, was du mit dem Link erreichen wolltest. Ist das Werbung für “Radfahren”?

Test oder Interview sind damit jedenfalls nicht verlinkt.

Dennoch Liebe Grüße, in der Hoffnung auf eine erklärende Antwort.

Axel

Maria Jeanne Dompierre - 6. Juli 2021 Reply

Hallo Axel,

danke für deine Rückmeldung.
Das ist ja schade, dass die alten Ausgaben der “Radfahren” online nicht zu sehen sind.

Wenn ich einen Link setze, dann möchte ich einen einfachen Zugang zu der Stelle schaffen, die ich erwähne, ohne dass du erst einen neuen Tab aufmachen und selbst in die Suche das entsprechende Wort eingeben musst.

Werbung für die Zeitschrift wollte ich gerade NICHT machen, also nicht offensiv. Denn natürlich hat die Erwähnung einer Zeitschrift oder eines Herstellers einen Effekt auf den Leser.

Ich bin da eher zurückhaltend. Die Zeitschrift hat mir z.B. einen Link geschickt, wo meine Leserinnen und Leser ein verbilligtes Abo bekommen. Ich habe mich entschieden, euch das nicht zuzumuten, damit kein Druck aufgebaut wird, die “Radfahren” zu abonnieren und habe also nur den ganz allgemeinen Link auf die Website in den Text integriert.

Aber deine Anregung, doch etwas über den Inhalt des Interviews zu verraten, nehme ich auf. Vielleicht passt es zu meinem nächsten Beitrag.
Manchmal denke ich, dass etwas nicht so sehr interessant ist und liege daneben.

Viele liebe Grüße!

Eduard J. Belser - 30. Mai 2022 Reply

Guten Morgen Maria Jeanne

Gestern war ich bei strahlendem Sonnenschein aber eher kühlen Temperaturen am 10. SlowUp Solothurn-Buechibärg. Rund 32‘000 friedliche, gutgelaunte Menschen waren auf einer für Motorfahrzeuge gesperrten Strecke von 46 km von Solothurn aus durch den Bucheggberg, einer der schönsten Teile unseres Kantons unterwegs. Der ganzen Strecke entlang gab es Festplätze mit Unterhaltung und Verpflegungsmöglichkeiten. Es war nach zweijährigem, coronabedingtem Unterbruch wieder ein grossartiges Volksfest. Auf der Talfahrt durch das Biberntal wurde es dann allerdings bei bedecktem Himmel und steifem Ostwind ziemlich kalt und ich kam ziemlich ins bibbern, so dass ich von Solothurn trotzt einem noch vollen, zweiten Akku und noch Reserve im ersten Akku mit dem Zug heimfuhr. Ich war überrascht, wie locker und entspannt ich die 46 km schaffte. Allerdings war ich ein Exot, ausser meinem Gekko traf ich nur noch auf ein zweiten Gekko, einen Scorpion und eine Speedmaschin, alle von HP Velotechnik. Aber es macht schon besonders viel Spass unter rund 32‘000 Leuten, die ihren Hintern mit einem Sattel malträtieren auf einem bequemen Liegtrikesitz unterwegs zu sein.

Herzliche Grüsse aus der Schweiz
Eduard

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