Manches verändert sich so schnell, da sind Informationen von letzter Woche schon wieder unvollständig oder veraltet.
Nun darf es öffentlich bekannt sein: HP Velotechnik gewinnt den diesjährigen Eurobike Award für Design für das “Scorpion Plus 20”!
Ich gratuliere ganz herzlich und freue mich für alle, die an diesem schönen Trike mitgewirkt haben.
Alexander Kraft, Pressesprecher von HP Velotechnik, hat die meisten eurer Fragen in einem Telefoninterview beantwortet. Mehr über ihn gibt es unten in der Infobox.
Alexander Kraft auf dem
Scorpion Enduro
Urheberrechte: Alexander Kraft – mit freundlicher Genehmigung
Maria Jeanne Dompierre: Herr Kraft, uns erreichen sehr viele Fragen und Vorschläge von Lesern zu den Rädern von HP Velotechnik. Dürfen wir so kurz vor der Eurobike die Gelegenheit nutzen und Ihnen nicht nur dazu Antworten zu entlocken, sondern vielleicht auch ein bisschen was zu den Neuheiten zu erfahren?
Alexander Kraft: Sehr gerne. Wir werden in Friedrichshafen diesmal mit so vielen Neuheiten an den Start gehen wie noch nie. Wir haben im Prinzip alle Dreirad-Baureihen um neue Modelle erweitert! Wichtigste Neuheit: das Scorpion Plus. Das wird es sowohl mit 26 als auch 20 Zoll Hinterrad geben. An einer entscheidenden Stelle aber sind sie baugleich: Der Rahmen ist gewachsen. Wir beschreiben dieses “Plus” zugespitzt mit dem Claim “Höher, breiter, komfortabler”.
MJD: Was ist der Vorteil?
AK: Der Querträger öffnet sich weit und man kann nun Sitze bis zu einer Sitzhöhe von 57 cm montieren. Außerdem ist die Sitzkante ganz nah an den Querträger herangerückt. Dadurch wird insgesamt das Einsteigen extrem erleichtert und durch die hohe Position gewinnt man eine sehr gute Übersicht im Verkehr. Aber das jetzt nur in Kürze – sonst müsste ich die ganzen Komfort-Features wie elektrischen Rückwärtsgang, Handablage usw. im Detail beschreiben.
MJD: Für wen sind die neuen Räder gedacht?
AK: Wir haben damit zwei Zielgruppen im Blick.
Zum einen Menschen, die bislang mit einem Liegedreirad wenig anfangen konnten. Die sagen in der Regel: Sieht ja bequem aus – ist mir aber zu tief zum Einsteigen, und im Verkehr sehe ich weder etwas, noch werde ich gesehen. Unsere “Plus”-Baureihe ist der Trike gewordene Gegenbeweis!
Und ganz wichtig ist uns zweitens, dass wir damit für Menschen mit Einschränkungen eine Mobilitätslösung anbieten. Was offenbar auch die Jury in Friedrichshafen gut findet: Wir kriegen den Eurobike Award!
MJD: Das ist ja ein Bereich, den die Firma Hase bislang praktisch alleine bearbeitet hat …
AK: … neben einigen Spezialradherstellern, ja.
HP Velotechnik hat aber nicht nur das “Scorpion plus 20” konsequent als Fahrzeug für besondere Bedürfnisse optimiert. Wir bauen auch eine ganz neue Produktlinie beim Systemzubehör auf.
Wir bieten künftig Fußhalterungen und –fixierungen an. Es gibt Handablagen mit Fixierung und einen sehr praktischen, einhändig zu bedienenden Halter für Gehhilfen.
MJD: Das klingt ja spannend und nach richtig viel Neuem. Wir werden uns überraschen lassen, wie das dann aussieht und sich anfühlt beim Fahren. Das ist jetzt aber auch das Stichwort, um zu den Fragen überzuleiten, die mich immer wieder erreichen.
Wir können da gleich mit zwei schon vorhandenen Zubehörteilen anfangen: Kann man den Streamer montieren, wenn Aufstehhilfen am Rad sind?
AK: Das ginge zur Not – aber es ist kaum praktikabel! Bestimmte Kombinationen schränken sich stark ein. Zumal wenn ich mir vorstelle, dass jemand, der eher weniger beweglich ist, zumindest nehme ich das jetzt aufgrund der Aufstehhilfen mal an, in ein Rad mit “Streamer” einsteigen will.
Auch wenn man den hochklappt, muss man sich noch immer um die Halterung “herumfädeln”.
MJD: Solche Fragen nach praktischen Aspekten gibt es häufiger – hier eine kleine Auswahl:
Könnte es beim gefalteten Scorpion eine Lösung wie beim Gekko geben, damit man das gefaltete Rad bequem schieben oder ziehen kann?
Warum lassen sich die Scorpione nicht falten wie das Gekko, bei dem der Sitz dran bleibt?
Werdet ihr künftig Sicherungssysteme einbauen wie Wegfahrsperren oder ähnliches?
AK: Zunächst mal zum Thema Falten.
Gekko und Scorpion sind wirklich zwei ganz unterschiedliche Konstruktionen. Denken Sie nur an die Federung bei den Scorpionen. Da braucht es eine ganz andere Sitz-Aufnahme und ergo lässt sich der dann nicht wie beim Gekko fx nach vorne umlegen und das Hinterrad auf die andere Seite klappen.
Aber die Frage nach der Beweglichkeit im gefalteten Zustand lässt sich ganz einfach beantworten: Kleine Hilfsrädchen wie am Gekko braucht es für die Scorpione nicht. Die lassen sich ganz einfach auf den Vorderrädern schieben oder ziehen. Übrigens: Auch am Gekko haben wir gearbeitet und ihn optimiert. So werden zum Beispiel bei der kommenden Generation genau diese kleinen Transportrollen deutlich größer.
MJD: Okay, und jetzt noch das Stichwort Wegfahrsperren …
AK: … Ich habe extra noch mal bei unserer Konstruktionsabteilung nachgefragt: Sorry, nein, da ist zur Zeit nichts in der Pipeline.
MJD: Ein Thema für ganz viele ist der Elektroantrieb.
Bei den Rädern mit Doppelakku ist ein Akku immer spiegelverkehrt angebracht und das Schloss zeigt zum Rahmen. Muss das sein?
AK: Wir hätten es gerne auch anders. Aber da werden die Batterie-Hersteller für uns – das jetzt mit Blick auf den ganzen Pedelec-Markt – als kleinem Player keinen Extra-Akku braten … Nein, der lässt sich zur Zeit nicht anders anbringen.
MJD: Einer meiner Blogleser sagt, beim Fahren mit den E-Trikes verdeckt man sich mit dem Arm die Sicht aufs Display. Könnt ihr das ändern?
AK: Das wird mit dem neuen Display von GO SwissDrive, das wir jetzt auf der Eurobike vorstellen, viel besser. Auch die Bedienung wird durch eine Fernbedienung am Lenker erheblich komfortabler.
MJD: Die neuen Möglichkeiten mit der E-Technik werfen noch andere Fragen auf, gerade mit Blick auf die Antriebsvarianten. Ich versuche das mal zu bündeln.
1. Warum geht nur Rohloff-Schaltung oder E-Antrieb bei euch?
2. Warum verbaut ihr die Nabenmotoren immer nur mit “steinzeitlicher” – so hat sich der Fragesteller ausgedrückt – Kettenschaltung?
3. Warum nicht Pinion oder Nuvinci oder eine Schlumpf-Tretlagerschaltung?
AK: Das sind in der Tat eine ganze Menge Stichworte. Ich versuch’s auch mal so kompakt wie möglich.
Zunächst mal: Nabenmotor ist nach unserer Meinung die bis dato beste Wahl für ein Liegerad. Das passt einfach perfekt zum leisen, genussvollen Dahingleiten durch die Landschaft und bringt eine gute Gewichtsverteilung.
Wenn ich aber in der Hinterradnabe einen Motor habe, dann passt keine Rohloff mehr rein! Und wir werden weder Rohloff noch einen anderen Hersteller überreden können, für uns eine Super-Sonderkonstruktion zu bauen. Manchmal gelingen aber doch sehr gute Kooperationen. So haben wir mit unserem Premium-System-Zulieferer Go SwissDrive den Rückwärtsgang für die Trikes gebaut.
Da ging es allerdings um eine Programmierung, nicht um eine hochkomplexe neue technische Lösung wie Motor mit integriertem Getriebe.
MJD: Was ist mit vorhandenen Lösungen, die einfach nur einen anderen Ausleger erfordern wie die Schlumpf-Schaltung oder Pinion?
AK: Auch damit haben wir uns nicht erst seit gestern befasst. Wir realisieren das bislang aus zwei Gründen nicht.
1. Die Tretlagerlösungen, ich denke da z.B. auch an Bosch, sind zu laut. Da werden die großvolumigen Rahmenrohre unversehens zu Resonanzverstärkern. Das klingt, als hätten Sie ein Hummelnest unter sich.
2. Wenn wir dann nicht jede denkbare weitere Lösung im Programm haben, so liegt das auch daran, dass wir unser eh schon üppiges Baukastensystem nicht überfrachten wollen.
MDJ: Die Leser stellen solche Fragen ja durchaus mit einer bestimmten Absicht. In dem Fall geht es um das Komfort-Feature, dass man im Stand runterschalten kann, etwa wenn man mit einem dicken Gang unversehens vor einer Ampel stehen bleiben muss.
AK: Also zum einen haben wir da eine Lösung, das ist die Kombination mit der SRAM DualDrive.
Die 3-Gang-Nabe im Hinterrad hat zum Beispiel zuletzt ein Tester von der “aktiv Rafahren” an unserem “Scorpion Enduro” extem gelobt – und zwar im Vergleich zu Aufrecht-MTB’s! Und bei Rädern mit Elektro-Unterstützung ist ein zu dicker Gang deutlich weniger problematisch, zumal wenn man eine Anfahrhilfe hat (bis 6 km/h, Anmerkung der Red.).
MJD: Der Leser, der das gefragt hat, hat sich das selbst eingebaut. Ein anderer fragt, wie ihr das generell mit selbst gebauten Konstruktionen seht, etwa wenn es um Anhänger geht und die Garantie auf den Rahmen …
AK: Da müssen wir sehr deutlich sagen: Wir geben Erstkäufern eine Garantie von zehn Jahren auf den Rahmen. Das ist sehr viel – und deswegen haben sich unsere Entwickler auch sehr genau die Materialbelastungen angeschaut und bei aufwändigen Prüfverfahren getestet.
Daraus resultieren dann Vorgaben, mit welcher Last und mit welcher Kupplung wir unsere hohen Standards zusagen können. Alles andere … wird oft gut gehen, aber dafür gibt’s keine Garantie.
Ein Beispiel: Gerade vor wenigen Monaten wurde bei einem Fernseh-Dreh mit einem Elektro-Enduro ein Riesenanhänger gezogen, mit Kameramann, Assistent und Kamera drauf. Das ging gut – aber wenn er den Rahmen zerlegt hätte, wäre das ganz allein sein Risiko gewesen! Ich schicke übrigens mal Bilder mit, falls jemand diesen Spezialeinsatz spannend findet.
MJD: Was ist eigentlich, wenn so ein Motor mal den Geist aufgibt? Gerade Menschen, die ohne E-Unterstützung gar nicht weiter kommen und die auf ihr Liegedreirad als einzigen fahrbaren Untersatz angewiesen sind, was machen die?
Könnt ihr denen beispielsweise während der Reparatur einen Leihmotor zur Verfügung stellen, also ähnlich wie der ADAC seinen Plus-Mitgliedern kostenlos einen Leihwagen spendiert?
AK: Nein, das ist für einen Fahrradhersteller schwierig. Der Grund weshalb, lässt sich auch schon ganz einfach an den Größenordnungen absehen.
Der ADAC hat – noch – knapp 20 Millionen zahlende Mitglieder. Wir verkaufen 1700 Räder im Jahr. Da können wir keine “Von-jetzt-auf-gleich-Mobilitätsgarantie” geben.
Zumal wenn es passgenau sein muss: Wir haben ja nicht nur ein System, sondern mehrere. Und da sind noch nicht mal die diversen Modellwechsel über die Jahre hinweg berücksichtigt. Außerdem: Unsere Fachhändler unterstützen ja bereits Kunden mit individuellen Mobilitätslösungen.
MJD: Denkt ihr über solche Service-Ansätze nach? Ich bin nämlich auch schon gefragt worden, wie das bei HP mit Finanzierungslösungen aussieht – eure Räder sind ja nicht ganz billig!
AK: Eigene Finanzierungmöglichkeiten können wir nicht anbieten. Aber über unsere Händler können Finanzierungen über Partner wie Leaserad abgewickelt werden. Da gibt es zudem auch steuerlich spannende Möglichkeiten wie das Angebot von Job-Rad.
MJD: Ihr kommuniziert sehr deutlich, dass ihr auf den kompetenten Fachhandel setzt. Habt ihr denn da überhaupt noch direkten Kontakt zu denen, die eure Räder fahren?
AK: Ja natürlich. Zum einen sind wir mit recht großem Aufwand auf vielen Messen oder Fahrradtagen mit Publikumszugang präsent. Zum anderen machen wir auch selbst Umfragen.
So haben wir bei einer Kundenanfrage 4000 Adressen angeschrieben. Was uns extrem beeindruckt hat: 1600 haben geanwortet! Das ist eine Rücklaufquote, die weit über vergleichbaren Umfragen anderer Herstellern liegt.
Die Erkenntnisse daraus sind auch sehr deutlich in unsere neuen 2015er Modelle eingeflossen. Und wenn ich sehe, was in jedem Jahr bei unserem Tag der offenen Tür los ist … direkter als beim Testfahren bei uns auf dem Hof geht es kaum!
MJD: Letzte Frage, die ich einfach direkt weitergebe:
Kann sich HP Velotechnik vorstellen, Scorpions an Menschen mit Beeinträchtigung zu spenden? Oder tut ihr das bereits?
AK: Auch ich habe in der Tat öfter mal solche Anfragen auf dem Tisch. Aber in der Regel sagen wir: Das können wir nicht.
Dazu sind wir ein zu kleines Unternehmen, als dass wir zehntausende Euro verschenken könnten.
Aber, und wir hoffen, dass das ein spannendes Thema in der nächsten Zeit wird: Wir sind dabei, für den neuen “Scorpion plus 20” mit Reha-Ausstattung eine Hilfsmittel-Nummer zu beantragen. Wenn das klappt, dann können in vielen Fällen Zuschüsse von den Versicherungen als den Kostenträgern beantragt werden.
MJD: Herr Kraft, herzlichen Dank für das Interview und Ihre Zeit!
Alle gezeigten Fotos unterliegen den Urheberrechten von HP Velotechnik!
[testimonial company=”Pressesprecher HP Velotechnik” author=”Alexander Kraft” image=”https://www.liegeradfrau.de/wp-content/uploads/2014/08/HP-Alexander-Kraft-Porträt.jpg”]Der gebürtige Frankfurter (Jahrgang 1962) ist in Radler-Kreisen kein Unbekannter. Als langjähriger Redakteur der Frankfurter Rundschau betreute er ab 1998 eine Serie mit Mountainbike-Touren.
In Folge davon arbeitete er das Thema Radfahren in allen Facetten für die überregional positionierte Tageszeitung auf. Zudem hat er sich als Autor regionaler Reiseführer einen Namen gemacht.
Nach einem Buch für Tourenradler („33 schönste Radtouren Rhein-Main“) vervollständigt er in diesem Jahr eine dreibändige Buchreihe mit MTB-Touren („22 MTB-Touren Odenwald Spessart“ / „22 MTB-Touren Taunus Vogelsberg“ / „22 MTB-Touren Rheingau Rheinhessen“).
Alexander Kraft ist seit April 2013 als Pressesprecher beim Krifteler Liegeradhersteller HP Velotechnik tätig.
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