Bevor sich jetzt etliche von euch mit Paul solidarisieren und ich böse Briefe bekomme, nehme ich es gleich vorweg: Mein Scorpion ist dieses Mal in einer anderen Werkstatt und nicht wie sonst, in Carstens Händen.
Und so ein bisschen wie Fremdgehen fühlt es sich schon an, weil ich gerne immer zum gleichen Service und Händler gehe. Ich bin der Typ Kundin, bei der alle Tricks und Maßnahmen der Kundenbindung wunderbar funktionieren. Und wenn es mir irgendwo gefällt, gehe ich immer wieder hin. So habe ich auch mein Scorpion in Süddeutschland bei “meinem Händler” bestellt und bin 600 km gefahren, um es dort abzuholen. Vertrauenssache eben.
Ich bin immer noch sehr glücklich mit Carstens Service, aber er hat Urlaub und ich kann mit meinem Liegedreirad nicht fahren, weil ich nicht mehr in die kleinsten Gänge komme.
Dazu kommt, dass ich dieses Mal auch etwas am Motor nachsehen lassen muss und Carsten möchte mit Motoren nichts zu tun haben. Also suchte ich einen Liegeradfachhandel in Bielefeld auf.
Und dort steht jetzt mein Schätzchen, während ich schon ungeduldig darauf warte, dass ich es zurück bekomme.
Pilotenschein für ein großes Dreirad
Bei dem schönen Wetter wollte ich auf keinen Fall auf eine Ausfahrt verzichten und so machte ich gestern den Pilotenschein für das Twike. Im Juni hatte ich mein erstes Treffen mit einem Twike beschrieben und da die Bedienung ganz anders ist als im Auto, muss man dafür eine gründliche Einweisung erhalten und ein paar Stunden unter Aufsicht fahren, um es anschließend sicher steuern zu können.
Die Technik im Twike ist überschaubar und einfach zu handhaben. Für die rechte Hand gibt es einen Steuerknüppel, mit dem die Fahrtrichtung gesteuert wird und der zwei Knöpfe bereit hält: Gas und Bremse
Am einfachsten ist das Fahren, wenn es einem gelingt, alle Gewohnheiten aus dem Auto zu vergessen.
Der Twike-Experte staunte, wie schnell ich den Dreh raus hatte, mich aber wunderte es nicht. Durch meine langjährige Übung in Meditation gelingt es mir, mich schnell in einen anderen inneren Zustand zu versetzen.
Dieser “Trick” erlaubte es mir, meine Gewohnheitsmuster vom Autofahren loszulassen, um mich voll auf das Twike einzulassen, geradewegs so als wäre ich noch nie oder schon sehr lange nicht mehr Auto gefahren. Dieses “Vergessen auf Knopfdruck” kann manchmal ganz schön praktisch sein…
Ein Twike zu fahren macht großen Spaß! Ich möchte mit diesem Beitrag nicht das Twike als Alternative zum Automobil propagieren, auch wenn es diese Rolle durchaus einnehmen könnte. Es ist ein sehr spezielles Fahrzeug mit Charme und hat zweifelsohne eine tolle ökologische Bilanz vorzuweisen. Allerdings ist es sehr asketisch ausgestattet und in der Anschaffung ziemlich hochpreisig. Die Unterhaltskosten wiederum sind extrem niedrig, es geht kaum etwas kaputt und die Batterien halten bei angepassten Verhalten was Aufladen und Beanspruchung betrifft, weit mehr als zehn Jahre. Mittel- und langfristig zahlt sich das Twike also mehr als aus und die Ressourcenschonung ist durch herkömmliche Fahrzeuge nicht zu überbieten.
Aufrechtfahrrad – Liegerad – Liegedreirad – Velomobil – Twike
So etwa könnte der Entwicklungsweg aussehen. Nachdem ich ein Velomobil beim Liegeradtreffen in Hannover Probe fahren durfte, hatte ich mich gefragt, was wohl die Steigerung davon sein könnte.
Das Twike ist so etwas wie ein super getuntes Velomobil. Die Sitzhaltung entspricht der des Liegerads und es hat auch Pedale, mit denen man Energie in die Batterien einspeisen kann. Allerdings ist diese Funktion nur ein Extra, bei meiner Fahrt bin ich nur kurz “auch Liegerad gefahren”, die Lenkung verlangte all meine Aufmerksamkeit und so ruhten meine Beine meist.
Womit wir beim wichtigsten Aspekt meiner Erfahrung sind. Die Lenkung war für mich eine Herausforderung und ist für mich persönlich das entscheidende Kriterium, mich für ein Twike zu entscheiden oder dagegen.
Nun war es an meinem “Führerscheintag” ziemlich windig. Das Twike ist ein sehr leichtes Fahrzeug und jede Böe macht sich bemerkbar. Der Steuerknüppel lässt sich leicht bedienen und die Lenkung reagiert schnell. Wenn nun der Wind seitlich auf das Twike trifft, gerät das Leichtgewicht schnell ins Schlingern, deswegen habe ich die Option die Lenkung härter einzustellen.
Mein Arm und Handgelenk sind die Steuerung nicht gewohnt und sogar bei leichter Einstellung empfand ich das Lenken als anstrengend, nachdem ich über zwei Stunden gefahren war. Ich musste eine Pause einlegen und war ein bisschen frustriert. Der Fachmann meinte, dass es am kräftigen Wind liege, der mich immer wieder zwinge gegenzuhalten und es unter anderen Umständen überhaupt nicht anstrengend wäre, das Twike zu steuern.
Nach der Pause stellte er die Lenkung härter ein, damit ich nicht immer gegen den Wind halten musste, aber das wurde nun sehr anstrengend für mich, manchmal hatte ich den Impuls, meinen linken Arm zur Unterstützung dazu zu nehmen. Ich klemmte meinen Ellbogen auf die linke Seite der Stange, die du in der Mitte des Twikes sehen kannst und ließ meinen Unterarm diagonal über die Stange laufen. Das brachte kurzfristig Erleichterung, aber meine Muskeln und Sehnen meldeten sich alsbald auf schmerzhafte Weise zurück.
Wieder einmal musste ich mich meiner “mentalen Tricks” bedienen, um die missliche Lage meiner Hand und Unterarm aushalten zu können. Ich überlegte mir, wie das wohl wäre, ein Twike zu haben, um nur an windstillen Tagen zu fahren? Ein kleiner Ärger kroch in mir hoch während ich die Schmerzen ignorierte. Genau wie in den meisten Automobilen merkt man auch bei der Lenkung im Twike, dass hier wahrscheinlich ausschließlich Männer bei der Entwicklung beteiligt waren. Im Auto nervt es mich z.B. dass der Rückspiegel für die meisten Männer gut platziert ist, aber für kleinere Leute und damit auch für viele Frauen so sitzt, dass frau die Ampel rechts nicht sehen kann und sich den Hals verrenken muss, um unter dem Spiegel hindurch zu schauen oder zur Ampel links schauen muss (wenn es denn keine Linksabbiegespur gibt), um irgendetwas zu sehen.
Aber dann dachte ich, dass ich nicht unfair urteilen sollte. Ich steuerte zum ersten Mal ein Twike. Das ist ungewohnt und meine Muskulatur wird normalerweise nicht in dieser Art beansprucht, so dass nach drei oder mehr Stunden natürlich Überbeanspruchung zu merken ist. Außerdem machte der starke Wind die Herausforderung noch größer. Ich sagte meinem Fahrlehrer, dass es ziemlich anstrengend wäre und er unterstützte meine Lenkung für eine Weile bis ich wieder alleine übernehmen konnte.
Und schon war mein Unmut verflogen und ich konnte die tolle Sicht, die die große Verglasung des Twikes bietet, genießen. Wir fuhren durch verkehrsreiche Gegenden, um zu testen, wie ich zurecht kommen würde und es machte mir großen Spaß, das Twike im Verkehr zu steuern. Da ich immer mehr an Sicherheit gewann, konnte ich nun auch die Innenausstattung betrachten und die Geschwindigkeit prüfen. Bis 70 km/h fuhr ich, wenn der Wind eine Pause einlegte, schneller traute ich mich noch nicht wegen der schlingernden Lenkung. Dafür klappte Rückwärtsfahren (in Achterbewegungen) und Anfahren am Berg problemlos.
Ich bin insgesamt vier Stunden gefahren, habe alle möglichen Situationen geübt und konnte auch im dichten Verkehr mitfahren. Das Twike macht großen Spaß und ist nicht im geringsten mit einem Auto zu vergleichen. Wer den Komfort eines Autos schätzt, wird am Twike immer etwas auszusetzen haben. Es hat hinten eine kleine Fläche, die sich mit dem Kofferraum eines Smart vergleichen lässt. Der Beifahrersitz kann aber herausgenommen werden, um mehr Ladefläche zu gewinnen. Klimaanlage oder andere technische Schönheiten sind kein Thema, das Cabriodach erlaubt allerdings eine sehr gute Belüftung wie ich feststellen konnte. Ich habe fast überhaupt nicht geschwitzt, obwohl es ein warmer Tag gewesen ist. Der Einstieg ähnelt dem des Velomobils, beweglich müssen TwikefahrerInnen also sein.
Ein eigenes Twike
Könnte ich mir vorstellen, ein Twike zu haben, wenn ich meinen alten Audi 80 abschaffe? Ja, durchaus. Das Konzept hat mich überzeugt und ich habe eine Vorliebe für außergewöhnliche Fahrzeuge. Die beiden dicken Minuspunkte, die ich dem Twike gebe, sind Lenkung und Design. Der Lenkung müsste ich allerdings noch ein paar Chancen geben, sprich, einige Male mit dem Twike fahren, um mehr Erfahrungen zu sammeln, bevor ich ein endgültiges Urteil fälle.
Definitiv interessiert mich das Twike 5 sehr. Es ist sehr sportlich, um genau zu sein ist es eine Rennmaschine und hat ein attraktives Design. Natürlich ist es Quatsch für den Alltag ein Fahrzeug zu fahren, das 200 km/h fährt. Aber das Nachfolgemodell des Twike 5 soll für den Allgemeingebrauch angepasst sein, etwas moderater im Aussehen und ca. 130 km/h schnell. Worüber ich mich sehr freue ist die Tatsache, dass es eine andere Lenkung haben wird. Eher ein Untenlenker wie am Liegerad und damit mit beiden Händen gleichzeitig zu bedienen, was für mich viel komfortabler wäre. Bis es dieses Twike gibt, wird es noch einige Zeit dauern und so kann ich schon einmal das Sparen anfangen…
Aber wer weiß, ob ich mich zwischenzeitlich nicht doch für ein elektrisches Auto entscheide, denn eins ist klar: Twike fahren ist etwas für absolute Liebhaber, die ganz bewusst auf technische Annehmlichkeiten verzichten und viel Idealismus mitbringen und dafür sehr viel mehr Spaß beim Fahren haben.
Da ich nun den Pilotenschein habe, kann ich mir ein Twike für ein Wochenende ausleihen und ein paar Ausflüge unternehmen. Das werde ich diesen Sommer auf jeden Fall tun. Fasziniert bin ich auf jeden Fall von diesem dreirädrigen putzigen Gefährt und werde die Entwicklung des Twike 5 und 6 genau verfolgen.
Eigentlich hat das Twike mit diesem Blog ja nichts zu tun. Aber auf Facebook habe ich viele Reaktionen bekommen, als ich Fotos davon veröffentlichte. Falls du Interesse daran hast, mehr von meinen Ausflügen mit dem Twike zu erfahren, schreibe bitte einen Kommentar unten, dann werde ich ein Video drehen und meine Erlebnisse mit dir teilen.
Ach ja – noch eine Info am Rande: Gerade eben erhielt ich eine E-Mail von HP Velotechnik, in der ich um Verabredung zum Interview gebeten werde. Schon erstaunlich, ich hatte nicht mehr damit gerechnet und schon geplant, ein Video ohne HP zu drehen, weil ich sehr gerne auf eure Zuschriften und Fragen an HP Velotechnik eingehen wollte. Nun soll es also doch noch im Juli klappen. Ich bin mal vorsichtig optimistisch und würde mich sehr freuen, wenn das noch was wird.