Ein perfekter Morgen

​Über Milchzähne, auf dem Radwege herumlungernde Fußgänger
und meinen neuen Job als Rikschafahrerin.


​Ich sollte vielleicht öfter spät zum Markt radeln.
Bis neun Uhr ist wenig los und gerade deshalb genieße ich den frühen Besuch dort.
Aber heute komme ich erst nach zehn an. Und wenn man mehr Menschen trifft, erlebt man auch viel mehr.

​"Sie liegen ja nur rum"

Ich nehme den längeren Weg durch den Wald und begegne einigen Wanderern.

„Ist das anstrengend?“
„Überhaupt nicht.“
„Sie liegen ja auch nur rum.“

Ich erreiche Detmold und die mir entgegenkommenden Fahrräder haben es eilig noch die Grünphase der Ampel zu erwischen, also warte ich, denn viele fahren nebeneinander.
Nur ein Mann hält an, um mich, wie ich irrtümlich annehme, durchzulassen.

„Fahren Sie nur, ich warte.“
„Nein, das will ich ja gar nicht.“
„Ach so?“
„Ich möchte Sie gerne angucken.“

Das hinterlässt ein etwas merkwürdiges Gefühl ...

Der erste Marktbesuch, an dem ich mit der mittlerweile fünfmonatigen Alva in einem Stück zum Stand komme.

​Am Stand

​Meine Aufmerksamkeit ist beim Bezahlen von Alva abgewandt, und sie springt an der betagten Dame neben uns hoch.

„Das mag ich ja gar nicht!“
„Das kann ich nachvollziehen. Bitte entschuldigen Sie, ich hatte für einen Moment nicht aufgepasst.“

Die Dame verzieht den Mund, die Winkel wandern aber dann nach oben und sie lächelt mich an. Nickt und verschwindet. Angesichts ihrer pfirsichfarbenen Hose bin ich froh, dass trockenes Wetter herrscht.

Die ebenso betagte Dame, die jetzt neben uns steht:
„Also, ich finde das ja nicht schlimm.“
Schweigen.
„Ich mag das ja sogar.“
Alva darf immer noch nicht.
„So ein süßer Hund.“ Sie beugt sich nach vorne.

Seufzend gebe ich mein OK und der kleine Hund springt nach Herzenslust an der Dame hoch.
Die kichert wie ein junges Mädchen und lässt sich überall ablecken. Sehr glücklich dreinschauend verabschiedet sie sich. Ihre Hose ist fast noch so gut wie weiß.

​Warum laufen wir hier so blöd rum?

​Eine Hochzeitsgesellschaft geht gemächlich vom Standesamt Richtung Innenstadt.
Natürlich auf dem Radweg.

Die Braut sieht mich von hinten anfahren, aber ich winke beschwichtigend ab. Mit den Absätzen bleibt sie womöglich im Dreck stecken, wenn sie auf den Fußweg überwechselt. Und heute darf sie auch alles.

Sie geht trotzdem über das Stück Rasen, um Platz zu machen, ihre Gäste folgen. Nur die Vorhut nicht.
Nach einer Minute merken die, dass ich hinter ihnen her rolle.
Ein Gespräch zwischen den Gruppenmitgliedern beginnt.

„Wir laufen auf dem Radweg!“
„Was, das ist der Radweg?“
„Wo steht denn das?“
„Warum laufen wir dann alle hier so blöd rum?“
„Weiß ich auch nicht. Du bist vorgegangen und wir sind halt hinterher.“

Ich lasse Detmold hinter mir.
Auf dem großzügigen breiten Rad- und Fußweg fährt ein etwa zweieinhalbjähriges Kleinkind mit seinem Minifahrrad, das beachtlich hin und her schwankt. Es fährt ohne Stützräder.

Hinter ihm rennt der junge Vater und sprintet sportlich in seinem tadellos gebügelten, aber zunehmend durchgeschwitzten Hemd.
Ich drossle mein Tempo.
Der Mann ist froh, einen Grund zum Anhalten zu bekommen.

Das Kind dreht sich zu mir und grinst mich breit mit unregelmäßig großen Milchzähnen an. Es winkt begeistert, ich winke zurück und muss noch lange lachen. So ein süßer Fratz.

​Fast Zuhause

​„Haben Sie noch Platz, um mich mitzunehmen?“
„Leider nicht. Der Anhänger ist auch schon besetzt.“
„Schade, das wäre mal eine tolle Rikscha.“

Als ich mich die Zufahrt hinabrollen lasse, bin ich vollkommen eins mit der Welt. Alles ist genau richtig in diesem Moment. Was für ein schöner Morgen. Was für schöne und lustige Begegnungen.

Das Leben ist gerade jetzt einfach nur - perfekt.

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KlausD - 19. August 2018 Reply

Hallo Maria Jeanne,

so schön kann eine Alltags-Fahrt mit dem Liegerad sein.

Deine „Milchzahn-Begegnung“ kann ich gut nachvollziehen. Ich hatte heute ein kleines Mädchen, das mir fasziniert zuschaute und sich riesig über mein Winken freute. Da bekommt das Liegeradgrinsen eine ganz neue Bedeutung.

Viele Grüße

Klaus

Maria Jeanne Dompierre - 20. August 2018 Reply

Das kann ich gut nachvollziehen. Es macht etwas mit einem und schwingt nach.
Einfach nur schön!

Norbert - 20. August 2018 Reply

Hallo Maria-Jeanne,

das liest sich einfach toll. Vielleicht sollte ich an meiner Außenwirkung arbeiten. Mir passieren solche Dinge nur äußerst selten.

Aber, wenn ich solche Erlebnisse mal habe, wirken sie in der Regel auch noch lange nach. 🙂

Dir weiterhin schöne Erlebnisse mit und rund ums Trike, liebe Grüße auch an Paul

Norbert

    Maria Jeanne Dompierre - 21. August 2018 Reply

    Danke dir, Norbert.
    So geballt erlebe ich das auch nicht oft. War eben ein spezieller Tag und nun kann ich immer wieder darüber lesen und mich daran freuen.

Eduard J. Belser - 20. August 2018 Reply

Hallo Maria Jeanne

Ja, das Liegetrike fahren sorgt einfach rundum für entspannte Zufriedenheit. Du hast das wieder trefflich auf den Punkt gebracht.

Ich war heute mit dem Gekko im Kantonsspital Olten in der Physiotherapie. Danach fuhr ich Richtung Solothurn und durch die Klus bei Oensingen nach Balsthal. Dort holte ich für meine Schwester und mich Theaterkarten für das Stück «Die Schmelzi». Es geht dabei um Aufstieg und Niedergang der Von Roll‘schen Eisenwerke in der Klus. Bis zur Ölkrise 1973 gehörten diese zu den wichtigsten Arbeitgebern im Kanton Solothurn. Viele der Eisenwerker aus unserem und den umliegenden Dörfern waren Patienten der Dorfarztpraxis meines Vaters. Ein Schulkollege meines Bruder und bekannter Theatermensch hat das Stück geschrieben und führt Regie.

Weil es mit gut 30 °C wieder so grässlich heiss war, gönnte ich mir reichlich «Motoguzzi», d.h. die Unterstützungsstufe 3 bis 5. Wieder zu Hause angekommen, zeigte das Display gerade noch drei Kilometer Restreichweite an, aber ich habe kaum geschwitzt. Es war ein toller Nachmittag und ich habe die Fahrt mit meiner heissen Maschine wieder sehr genossen.

Herzliche Grüsse aus der backofenheissen, knochentrockenen Schweiz.
Eduard

    Maria Jeanne Dompierre - 21. August 2018 Reply

    Lieber Eduard,

    bei uns war es in den letzten Tagen deutlich unter 30 Grad und hat ein Durchatmen erlaubt.

    Ich empfinde es als großen Segen, wenn man ein Hobby gefunden hat, dass der Seele so viel Freude und Frieden bringt.

    Wenn sogar ein großer Kritiker und aktiver Geist wie du von “rundum entspannter Zufriedenheit” schreibt, können sich Unbeteilgte etwas darunter vorstellen, was uns Liegeradfreunde an unseren Gefährten so begeistert.

    Ich wünsche dir und deiner Schwester einen genussvollen Theaterbesuch!

Her Mann - 24. August 2018 Reply

Hach….

…super beschrieben! Genau dieses wunderbar entspannte Gefühl getroffen. Habe ich hier auf dem Bürgersteig (Radfahrer frei!) auch sehr oft: Fußgänger, die richtig beflissentlich den Weg freimachen, damit ich vorbeifahren kann – obwohl ich keine Eile habe 😉

…und diese Begegnungen! Vor einigen Tagen in einem kleinen Dorf beim Tante-Emma-Laden: ich esse gerade ein Eis. Ein (sichtlich alkoholisierter) Fußgänger kommt hinzu. „Ein interessantes Fahrrad hast du da. Wie funktioniert das denn?“ – Ich bewege kurz den Untenlenker: hier lenken – und zeige auf die Pedale vorne: da treten und schon fährt man 😉 – Er: „Aber so etwas fahren doch nur Behinderte.“ – Ich: „Ich bin ja auch behindert.“ – Er: „Ja – aber – du kannst doch stehen….“

…und dieses Erlebnis! Man sitzt drinnen, das Wetter ist nicht optimal. Man grübelt, ob man fahren soll – der innere Schweinehund sagt nein! Man geht raus, fährt los und – zack – ist dieses herrliche Gefühl da! Glücksgefühl pur. Man kann auch im Regen pfeifen 🙂

    Maria Jeanne Dompierre - 27. August 2018 Reply

    Lieber Hermann,

    danke, dass du mit uns deine Anekdoten teilst. Wunderbar!
    Im Regen pefeifen … genau. Das probiere ich gleich nach dem Schreiben aus. Und nach der langen Trockenheit ist der Regen sowieso höchst willkommen.

    Lustig, die Assoziation, dass jemand mit Behinderung im Rollstuhl zu sitzen hat.

    Deine Zeilen beschwören schöne Bilder herauf,

    alles Liebe.

Thorsten - 22. September 2018 Reply

Moin Maria,

Deine Kurzgeschichten bringen mich immer wieder zum Schmunzeln und sorgen so für gute Laune. Ich bin über YouTube auf Deine Website gestossen und werde immer mal wieder vorbei schauen und mir die Wartezeit auf meinen Scorpion verkürzen.

Lange Zeit habe ich nach einer Lösung gesucht um meinen recht langen Arbeitsweg von mehr als 20km einfach mit dem Rad zu bewältigen. Zunächst kanpp die Hälfte mit dem Auto und 12 km mit dem Reiserad ( was doch nicht das Gelbe vom Ei ist), dann die Überlegung ob ein Velomobil das Richtige ist (ist es für meinen Weg nicht) und jetzt wird es ein Scorpion fs 26 mit Go Swissdrive ( ich denke das wird gut). Insofern haben mir die YouTube Videos natürlich gute Anregungen gegeben.

Beste Grüße aus Hamburg!

Thorsten

Maria Jeanne Dompierre - 23. September 2018 Reply

Lieber Thorsten,

da freue ich mich natürlich!
Das Scorpion mit GoSwiss wird dich begeistern. Eine gute Wahl.
Das Warten wird sicherlich eine Tortur 😀 , aber eine schöne.

Halte die Augen offen, in einigen Tagen veröffentliche ich ein Interview mit GoSwiss.
Dann siehst du worauf du dich freuen darfst. Dein Motor ist ja schon von der neuen Generation und damit hast du beim Akku etwas mehr Reichweite.

Ich bin sehr begeistert, dass du deinen Arbeitsweg radelst. Dass du in Etappen anfingst, war goldrichtig. Respek – 40 km sind ganz schön Leistung. Da kannst du stolz sein.

Liebe Grüße
Maria Jeanne

Eduard J. Belser - 9. November 2018 Reply

Guten Morgen Maria Jeanne

Bei uns hat die Zeit der nasskalten Herbsttage wieder begonnen und es ist am Morgen im Bett viel kuscheliger als auf meinem Vélo couché, was ich mit Kuschelvelo übersetze. Ich bin diese Saison viel und mit viel Genuss gefahren und werde dies auch über den Winter an sonnigen Tagen tun, an denen ich sicher bin, dass die Strassen nicht gesalzen sind. Durch das viele Fahren hat auch der Verschleiss an den mechanischen Scheibenbremsen meines Gekkos zugenommen und ich werde mir im Frühling komfortabler nachstellbare hydraulische einbauen lassen. Das Material habe ich bereits beim Radhaus bestellt. Von der Pinion-Getriebeschaltung bin ich immer noch restlos begeistert. An ihr wird dann im Frühling der erste Ölwechsel fällig sein.

Aus den gemeinsamen Trikeausfahrten mit meinen Freunden Bernadette und Dieter ist noch nichts geworden. Sie warten immer noch auf die Schweizer Musterzulassung der Scorpion S-Pedelecs durch eine der zuständigen kantonalen Motorfahrzeugkontrollen. Aber diese feiern immer noch unbeirrt ihre Sesselfurzerorgien ab und wir sind vorläufig als gemisches Trio mit einem Trike und zwei konventionellen S-Pedelecs unterwegs. Immerhin sind die beiden Trikes bei HP in der Produktionsplanung und können, wenn die Musterzulassung vorliegt, kurzfristig montiert und geliefert werden.

Liebe Grüsse aus der Schweiz
Eduard

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