“War noch jemand in den Unfall verwickelt? Ein Auto, eine andere Person vielleicht?” fragte mich der freundliche Arzt des Notfalldienstes während er das Verbandmaterial aus dem Schrank holte.
“Nein – ich alleine bin für den Vorfall verantwortlich und außer mir war niemand beteiligt. Meine Finger gerieten während der Fahrt in die Speichen des Vorderrades, als sich die Hundeleine darin verwickelte.”
Was für ein Schreck! Aber von Vorne.
Am Sonntag genossen Paul und ich die fast schon sommerlichen Temperaturen und hatten eigentlich einen ausgedehnten Ausflug geplant. Schon am Tag zuvor sogen wir die Sonne mit Genuss in uns auf und radelten gemütlich durch den Teutoburger Wald.
Unsere Sonntagsausfahrt hatte ich mir umso schöner vorgestellt, wir hatten Essen und Getränke für ein Picknick eingepackt und wollten den Nachmittag draußen verbringen.
Während einer leicht abschüssigen Abfahrt passierte es. Emilia trabte in mäßigem Tempo neben mir her, sie erhöhte ihre Geschwindigkeit und hatte Lust, etwas zu rennen, ich ließ die Bremsen mehr los und rollte ein wenig schneller, als plötzlich die locker hängende Leine unten am Schutzblech zwischen Reifen und Schutzblech geriet, sich in Windeseile verhedderte und nahe der Nabe aufwickelte. Noch bevor ich die Leine loslassen konnte, waren meine Finger der rechten Hand teils im Rest der Leine eingequetscht, teils unter dem Schutzblech eingeklemmt oder zwischen den Speichen. Ich musste erst einmal ein Stück zurückrollen, um den kleinen Finger zu befreien.
Ungläubig starrte ich auf meine rechte Hand und war im ersten Moment erleichtert darüber, dass nur “mein Ende” der Leine aufgewickelt und Emilia völlig verschont geblieben war. Paul bremste neben mir und sah sofort was geschehen war. Er fragte mich, ob ich mich sehr verletzt habe: “Ist es schlimm?”
Schnell ließ ich den Ärmel über die Hand nach unten gleiten, so dass das meiste verdeckt war: “Mal sehen wie schlimm es ist, wenn der Schmerz einsetzt.” Dabei hatte ich schon einen Blick auf die Wunde am kleinen Finger werfen können. Eine tiefe Wunde mit hässlich ausgefransten Rändern klaffte dort, aber den Knochen immerhin konnte ich nicht sehen, so schlimm würde es also schon nicht sein. Der Ringfinger war ziemlich angeschwollen und verfärbt und ließ sich nicht mehr bewegen. Die ganze Hand pochte.
“Zeig mal!” forderte Paul mich auf, nachdem er den Hund versorgt und die Leine nach einiger Mühe vom Rad entfernt hat. Bloß nicht! Denke ich. “Ist nicht so schlimm”, ich suche nach einem Tempo in der Radtasche. Leider entgeht mir in dem Moment, dass unaufhörlich Blut über meine Hand läuft und den Asphalt dunkelrot besprenkelt. “O Gott! Du bleibst hier und ich radle heim und hole das Auto, das sieht schlimm aus.” Paul schaut auf das Blut, nimmt meinen Arm und schiebt den Ärmel hoch. Naja, ich gebe zu, in diesem Moment sah alles ein bisschen wild aus. Aber wenn Männer Blut sehen….denke ich und erkläre mit fester Stimme, dass ich wohl in der Lage sei, 5 km nach hause zu fahren.
Mittlerweile aber setzten die Schmerzen ein und mit Grauen dachte ich an die steile Steigung zu unserem Zuhause. Ich hatte einen kleinen Schock, mein Fuß zuckte unkontrolliert vor und zurück und Übelkeit stieg in mir auf. Trotzdem, fahren ist besser als herumzusitzen, wenn es nicht geht, kann ich jederzeit anhalten. Ich lasse mir nichts anmerken, wickle ein Tempo um die Hand, um die Blutung zu stoppen und trete in die Pedale. Die Ablenkung tut mir gut, die Übelkeit geht zurück und ich atme den Schmerz weg.
Zu Hause angekommen reinige ich die Wunden so gründlich es geht unter fließendem Wasser. Dort findet mich Paul nach einer Weile mit einem Handtuch zwischen den Zähnen und tränenden Augen. “Wir gehen jetzt ins Krankenhaus”, bestimmt er. Ich hatte nicht den Eindruck, es sei etwas gebrochen, nur die Wunde war eben tief. Die anderen Verletzungen waren eher oberflächlich, ich wollte mich gerne selbst zu hause versorgen. Wegen so etwas in die Klinik? Das ist doch lächerlich.
Allerdings war viel Schmutz in die Wunde geraten, die Reifen und Räder eines Fahrrads sind ja nicht gerade die saubersten Oberflächen am Liegedreirad. Also stimmte ich zu, dass wir zur Reinigung ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen sollten und fuhren zum Klinikum. Direkt neben dem Krankenhaus ist ein Gebäude, wo der “Ärztliche Notfalldienst Detmold” untergebracht ist.
Erleichtert darüber, nicht in die Klinik zu müssen, traf ich dort einen gut gelaunten und total netten Arzt, der mir die Wunde gründlich ausspülte und bestätigte, was Paul befürchtet hatte. Es war viel Schmutz drin, der heraus musste. Innerlich wappnete ich mich gegen Röntgenaufnahme und Nähen und legte mir einige Ausreden zurecht. Aber der Arzt war nicht nur selbst begeisterter Fahrradfahrer (wir plauderten fröhlich über Liegeräder, E-Motoren und Fahrradfahren allgemein), sondern sehr pragmatisch veranlagt. Er meinte, dass der Ringfinger aufgrund seiner Verformung gebrochen sein könnte, aber ich könne auch zwei Tage abwarten, ob die Bewegungsfähigkeit wieder zurückkomme und die Schwellung zurückginge bevor ich ihn röntgen lasse. Die Wunde sei zwar tief, aber so zerrissen, dass er statt Nähen eher mit Pflaster zuklammern würde.
Er fragte mich noch ein wenig über die Vorzüge eines Liegedreirads aus und ich geriet ins Schwärmen, was mich dankenswerter Weise von meiner Hand ablenkte. Er schrieb sich die Adresse dieses Blogs auf und versicherte mir, dass er nachsehen werde, weil sein Interesse geweckt war.
Als ich die Praxis verließ, dachte ich, wie dankbar ich bin, dass es Männer und Frauen gibt, die auch am Wochenende, wenn alle anderen ihre Freizeit und das tolle Wetter genießen, arbeiten und Menschen helfen, die versorgt werden müssen, Hilfe brauchen oder in Not geraten. Und was für ein Glück, wenn jemand, wie ich, auf einen freundlichen und gut gelaunten Helfer trifft. Deswegen sage ich einfach und aus tiefstem Herzen: Danke!
Kleiner Nachtrag: Der Ringfinger lässt sich schon etwas bewegen und die Schwellung ist merklich zurückgegangen. Ich werde wohl schon bald wieder auf meinem Scorpion fs sitzen können. Allerdings montiere ich nun endlich die fehlende Schutzlasche unten am rechten Schutzblech, die ich mir letztes Jahr abgerissen hatte (und ich immer dachte, die brauche ich sowieso nicht, aber die Leine wäre nicht unter das Blech geraten, wenn sie da gewesen wäre) und außerdem werde ich auch nach Halterungen für Hunde, die neben dem Fahrrad laufen, sehen, was ich auch schon seit zwei Jahren immer wieder aufschiebe.